Talkgottesdienst in der Lutherkirche
"Christliche Grundwerte stehen nicht für sich allein,
sie müssen Fleisch gewinnen"
Frage
Wie kam der Talkgottesdienst zustande?
Hans Mörtter
Die Idee, Gäste in den Gottesdienst einzuladen, hatte ich schon länger. Dann traf ich auf Peter Clös, der vor ein paar Jahren im Freien Werkstatt Theater sehr einfühlsame Moderationen machte. Da habe ich gemerkt, wie kurzweilig und interessant eine Stunde Gespräch für ein Publikum sein kann. So etwas wollte ich dann auch machen und habe mir den Peter Clös als jemanden gemerkt, der das gut kann und darin ein guter Partner ist. Dann brauchte es aber noch ungefähr zwei Jahre „Gärzeit“, in der ich auch die Kontakte für mögliche Gesprächsgäste wachsen lassen konnte. Irgendwann habe ich innerlich gespürt, dass es jetzt soweit ist und wir damit loslegen können. Als Peter Clös als Moderator zusagte, habe ich daraufhin gleich Gerhart Baum kontaktiert, der im Februar 2007 unser erster Talkgast wurde. Ab da lief es.
Frage
Gesucht und überzeugt werden müssen die Gäste aber schon.
Hans Mörtter
Schon. Aber ich bin selbst sehr überzeugt von diesem Gottesdienstformat. Da ist es relativ einfach, auch andere dafür zu einzunehmen. Die meisten Talkgäste haben direkt zugesagt. Wenn ich an die Telefonnummer herankomme, ist es ganz einfach, schriftliche Anfragen sind etwas umständlicher. Zum Teil hatten unsere bisherigen Gäste aber schon irgend wann einmal mit der Lutherkirche zu tun gehabt oder von uns gehört. Unser Bekanntheitsgrad spielt da auch eine Rolle. Wir stehen in dem Ruf, dass wir hereinreden, mitmischen und uns mit den unterschiedlichsten Themen auseinandersetzen und dass auch Qualität eine Rolle spielt. Das wissen die meisten schon, dann gilt es nur noch, einen geeigneten Termin zu finden.
Frage
Die Themen der Talkgäste sind im Regelfall keine rein kirchlichen.
Hans Mörtter
Daher versuche ich im Gottesdienst die Theologie mit dem Menschen zu verbinden. Bei Gerhart Baum war das Thema: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist eines seiner Anliegen, also kann ich die Person und ihren Einsatz gut verbinden mit biblischen und theologischen Inhalten. Das muss für mich auch miteinander klingen.
Christliche Grundwerte stehen nicht für sich allein. Sie müssen Fleisch gewinnen. Unsere Talkgäste sind Personen, die das ein Stück weit leben. Eine ethische Grundhaltung wird spürbar durch den Gast, den ich einlade.
Frage
Welche Voraussetzungen sollte der idealtypische Talkgast mitbringen?
Hans Mörtter
Es sollen authentische Menschen sein, die einfach durch ihre Persönlichkeit und durch ihr entsprechendes Agieren überzeugend sind, bei denen Reden und Tun eine Einheit bilden. Ich finde es wichtig, dass unsere Gottesdienstbesucher*innen diese Menschen erleben können, weil das eine Ermutigung für das eigene Dasein ist. Wenn jemand zu seiner Persönlichkeit steht und nach seinen Maximen handelt, kann er ein Ansporn für andere sein, ihr eigenes Potential auszuprobieren. Unsere Gäste haben sich in dieser Gesellschaft nicht herausgehalten, sondern reingeredet, und weil sie gut sind, sind sie auch gehört worden. Sie lassen sich durch nichts erschrecken, sind nicht korrumpierbar, sind nicht käuflich. Sie verkörpern letztlich also ganz alte Werte. Ich finde, Menschen müssen sehen, dass es das gibt. Das ist für mich das A und O an den Talk-Gottesdiensten. Deswegen reicht es nicht, wenn eine Person bloß bekannt ist.
Frage
Auch kein berühmtes Top-Model?
Hans Mörtter
Die würde ich nicht einladen. Es sei denn, die hat sich gegen den Magerkeitskult gestemmt, gegen diese Unmenschlichkeit. Das ist gefährliche Körperverletzung, was da kultiviert wird, und auch psychische Schädigung, dann fände ich das interessant, wenn da jemand von den Models aufmuckt. – Nein, Bekanntheit alleine reicht mir für den Talk-Gottesdienst nicht. Irgendetwas muss an dem Menschen spannend und überzeugend sein. Dieser Mensch muss Rückgrat haben, das muss spürbar sein, nachvollziehbar, erlebbar im direkten Gespräch.
Hans Mörtter und Moderator Peter Clös beim 1. Kölner Talkgottesdienst mit Bundesinnenminister a. D. Gerhart Baum am 25. Februar 2007
"Es geht um Wahrnehmung"
Frage
Sie legen ganz großen Wert auf Kirche als geschützten Raum. Deswegen gehen Sie immer auf „Kuschelkurs“ mit den Talkgästen. Trotzdem entsteht Reibung.
Hans Mörtter
Die Reibung entsteht nicht mit der Person, sondern eher mit dem Thema. Sie wirkt nach außen hin in Form von Impulsen in die Gemeinde, in die Öffentlichkeit hinein.
Frage
Es geht darum, Menschen zu berühren.
Hans Mörtter
Genau. Das ist die Aufgabe des Gottesdienstes, Berührung herzustellen. Unser Gast erzählt und wird erlebt und gleichzeitig findet über den gottesdienstlichen Teil noch einmal eine Umsetzung und Vertiefung statt, die die Menschen dann auch spirituell erreicht. Da kann man vielleicht die Erfahrung machen, dass das Thema mit mir und meinem Leben etwas zu tun hat. Diese Brücke muss entstehen. Das gelingt vielleicht nicht immer, ist aber auf jeden Fall das Ziel.
Frage
Welche ist die Rolle des Moderators dabei?
Hans Mörtter
Der Moderator hat in erster Linie die Aufgabe, dem Gast und seinem Thema Raum zu geben. Das erst einmal unabhängig davon, wie die eigene Einstellung des Moderators zu ihm oder seinem Thema ist. Der Gast soll sich darstellen können, erkennbar werden in dem, was er denkt und tut. Das er begreifbar wird für die Menschen, die da sind. Der Gast steht eindeutig im Vordergrund. Der Moderator kann forcieren, das Thema weiterbringen. Er muss aber auch sehen, ob da irgendwo eine Grenze ist. Wenn ein Gast über einen bestimmten Aspekt nicht sprechen will, muss der Moderator das akzeptieren. Auch wenn es ihm nicht gefällt. Das ist die Achtung vor dem Gast. Der Moderator kann und soll aber da, wo er zum Thema beitragen kann, sich durchaus einbringen. Soweit ich als Pfarrer die Moderation mache, bringe ich meine theologischen Fragen natürlich mit ein. Ich lasse dem Gast aber Freiheit darauf zu reagieren, oder nicht. Ich könnte versuchen, ihn zu reizen und zu provozieren, damit er vielleicht aus sich herausgeht. Das würde aber gegen die Grundmaxime der Achtung vor dem Gast verstoßen. - Meine Fragen sind aber im Vorfeld schon auf die Persönlichkeit des Gastes abgestimmt. Es hat immer etwas mit ihm zu tun. Es sind keine Fragen, die ihm übergestülpt werden. Die ergeben sich aus dem Lebenslauf.
Frage
Warum betreibt die Lutherkirche den Aufwand, die Gespräche in voller Länge zu dokumentieren?
Hans Mörtter
Das hat etwas mit Nachhaltigkeit zu tun, dass jede/r, der/die bei dem Gottesdienst dabei war, das noch einmal nachlesen kann. Da kommt eine solche Fülle zu Sprache, dass Manches vielleicht gar nicht hängen geblieben ist. Die Dokumentation ist aber genau so für die gedacht, die nicht dabei waren. Der Impuls, den wir versucht haben zu setzen, soll möglichst noch weiter gehen. Das ist auch der Punkt des Gesprächs. In normalen Talkrunden in den Medien gibt es kaum oder keine Gespräche, die 50 Minuten dauern. Mit einem einzigen Gast! In einem kurzen Gespräch kommt keine Verdichtung zustande. Auch wenn über unseren Talkgottesdienst in den Medien berichtet wird, dann ist es ein Bericht über das Ereignis, vielleicht mit einigen Zitaten, aber eigentlich eine Verkürzung. Der Talk-Gottesdienst selber ist die Verdichtung, etwas Intensives, wofür wir uns Zeit nehmen. Genauso muss die Dokumentation sein. Deshalb können wir da auch nicht viel herauskürzen, nur damit es gefälliger ist. Es geht nicht um Lesefreundlichkeit, es geht um Wahrnehmung und manchmal eben auch um die „Zumutung“, sich und anderen die Zeit für einen langen Gottesdienst oder Text abzuverlangen.
Das Interview führte Helga Fitzner am 13.10.2009
Foto mit Gerhart Baum: Sonja Grupe
Foto mit Jürgen Roters: Timo Belger
Hans Mörtter mit dem Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters am 13. Mai 2012