Hans Mörtter
Die ganzen Weltklimakonferenzen hatten sich darauf geeinigt, dass die Erwärmung bei 1,5 Grad gestoppt werden soll, dass weltweit Maßnahmen ergriffen werden, um die Erwärmung bei 1,5 Grad zu stabilisieren, in Anführungsstrichen, weil die Artenforscher*innen ja zum Beispiel auch schon sagen, schon 1,5 Grad sind eine Katastrophe. Aber wir steuern auf 2 Grad Erwärmung zu, und du siehst im Augenblick nicht, ob dieses Ziel, 2 Grad Erwärmung, einzuhalten ist, sondern dass es eher noch drüber geht.
Karsten Schwanke
Na ja, zurzeit steuern wir auf 4 bis 5 Grad Erwärmung zu und sind weit davon entfernt, überhaupt die Marke unter 2 Grad zu halten. Die korrekte Formulierung in Paris war deutlich unter 2 Grad, deshalb wird gerechnet mit 1,5 – wir sind jetzt bei rund 1,1, 1,2 Grad, das heißt, die 1,5, die erreichen wir wahrscheinlich in 10, 12, 13 Jahren.
Hans Mörtter
Selbst wenn wir sofort mit der Nutzung fossiler Brennstoffe aufhörten, würde sich das erst in einigen Jahren auswirken.
Karsten Schwanke
Selbst wenn wir es in diesem Jahr schaffen würden, weltweit den CO2-Ausstoß auf null herunterzufahren, würden wir wahrscheinlich so in 20 bis 60 Jahren, in dem Zeitraum Mitte des Jahrhunderts, irgendwann die 1,5 auch reißen, und dann würde es langsam, sehr langsam wieder heruntergehen. Es dauert lange, es ist ein träges System. Umso fataler ist es, dass wir immer noch so viel reinpumpen, dass wir eben eher Richtung 4, 5 Grad wandern bis zum Ende des Jahrhunderts, also noch einige Gradsprünge machen. Das Fatale ist wirklich, dass wir heute nur im Ansatz erkennen, was das wirklich heißt. Die Klimaforscher wissen ja nicht, wie wir uns als Menschheit bewegen mit dem CO2-Ausstoß. Deshalb werden verschiedene Szenarien gerechnet von „wir sind sehr fleißig und machen sehr viel mit erneuerbaren Energien“ bis hin „wir machen gar nichts“. Selbst diese „wir machen gar nichts und machen weiter wie bisher“, diese Klimaszenarien können nicht das Tempo der Eisschmelze am Nordpol nachvollziehen – das verläuft schneller. Selbst diese pessimistischsten Klimamodelle können nicht nachvollziehen, warum wir zurzeit schon eine Vervierfachung an Hitzetagen in Deutschland erleben. Die Ausreißer nach oben vollziehen sich schneller, als es die schlechtesten Klimaszenarien zeigen. Wir können es also nur im Großen erahnen, was da auf uns zukommt. Deshalb, wir müssen wirklich sofort handeln, denn wenn wir 4 bis 5 Grad weiter im Fokus haben und uns weiter da hinbewegen, dann geht’s wahrscheinlich wirklich irgendwann ans Eingemachte.
Hans Mörtter
Da kann man eigentlich nur sagen, oh Gott, oh Gott!
Karsten Schwanke
Es ist ganz schwer, es ist halt auch so theoretisch. Auf der einen Seite zeigen es die Gleichungen und Klimamodelle schwarz auf weiß, auf der anderen Seite ist es doch irgendwie schwer zu greifen, weil es in der Zukunft liegt. Ich bin von Haus aus ein lebensbejahender und froher Mensch, auf der anderen Seite sehe ich diese Ergebnisse und frage mich auch: Mann, wie kriegt man das denn hin, dass wir irgendwie das Ruder herumreißen und in eine andere Richtung steuern. Es ist eine unglaubliche Herausforderung.
Hans Mörtter
Es gibt ja schon Antworten. Ich glaube, jeder von uns kennt das: Haben wir vor 30 Jahren eine Waschmaschine gekauft, hatte die eine ganz lange Lebenszeit, kaufen wir heute eine Waschmaschine, hält die zehn Jahre, oder wir müssen einen Mechaniker rufen. Das Bruttosozialprodukt ist immer noch ganz konservativ wie im Mittelalter gerechnet, wir müssen mehr und mehr und mehr und mehr und schneller produzieren und mehr und mehr verkaufen. Wir müssen neue Märkte schaffen, wir müssen noch mehr Märkte schaffen, wir müssen verkaufen. Wir müssen liefern, liefern, liefern, liefern, wir müssen die Städte überrollen mit unseren Lieferfahrzeugen – Amazon und sonst was alles –, also wir müssen mobiler werden, wir müssen die ganze Welt kennen, wir müssen alles abgehakt haben, dieses Mehr-mehr-mehr.
Karsten Schwanke
In der Tat, ich finde das ganz interessant: Je intensiver man sich mit dieser Thematik beschäftigt - wir sind jetzt schon weniger in einer meteorologischen als vielmehr in einer politischen Diskussion - kommt man irgendwann zu dem Punkt, dass man das Gesamtsystem hinterfragen muss. Zum Beispiel ist der Gedanke falsch, dass die Zukunft in Elektroautos besteht. Klar, also nicht wegen des Elektroautos als solchem. Der ganze Ansatz ist falsch, dass jeder sein Auto behält und wir nur den Antrieb austauschen. Die Möglichkeiten, die die Digitalisierung gerade auf diesen Gebieten bietet, sind unglaublich. Niemand muss mehr ein Auto besitzen – es gibt Carsharing, mit dem autonomen Fahren. Es gibt eine Studie in Manhattan, die zeigt, wie viele der Taxifahrten geshart werden könnten, wenn zwei Fahrten mit einem Auto durchgeführt würden, weil 50 Meter weiter ein anderer Mensch ein Taxi gerufen hat, der das gleiche Ziel hatte. 95 Prozent aller Taxifahrten in Manhattan könnte man teilen. Das Potenzial, gerade wenn wir das intelligenter denken und nutzen, ist unglaublich. Und wer sagt denn eigentlich, dass jeder von uns individuell mobil sein muss? Noch im vorletzten Jahrhundert war doch die Eisenbahn das größte aller Dinge, und fast jedes Dorf in Deutschland war mit irgendeiner kleinen Eisenbahn erreichbar. Das wurde alles weggebaut. In der Schweiz kommt man heute noch sehr weit mit der Bahn, vielleicht müssen wir eines Tages wieder dazu zurückkehren. Es gibt andere Lösungen, wir müssen da noch kreativer werden. Das soll jetzt nicht heißen, dass wir nicht mehr mobil sein dürfen – so was wird schwer zurückzudrehen sein –, aber wir müssen anders denken, sozusagen weg von diesem Besitz, weil dieses Denken „Besitztum“ führt natürlich dazu, „es geht kaputt, ich brauch was Neues“. Das führt zu diesem „neu, neu, mehr, mehr“. Davon müssen wir, glaube ich, definitiv weg.
Hans Mörtter
Ich habe hier eine Publikation von Esther Gonstalla „Das Klimabuch“. Die erklärt den Klimawandel in 50 Grafiken, die unglaublich verständlich sind. Da gibt es ungeheuer schöne Beispiele, hier zum Beispiel: Marokko erreicht bis 2030 das 1,5-Ziel des Pariser Klimaabkommens. Costa Rica nutzt bereits zu 99 Prozent erneuerbare Energie. San Francisco ist die Recyclingstadt Nummer eins weltweit, 80 Prozent des Mülls werden wiederverwertet. Gambia ist ganz vorne. In Afrika wird die Great Green Wall gebaut, ein 1.800 Kilometer langer und 15 Kilometer breiter Waldgürtel, seit 2007 wird da gepflanzt.
Karsten Schwanke
Übrigens ein Wort, weil ich das gerade sehe, wo dieser Waldgürtel hier ist, in der Sahelzone. Es heißt so oft, im Zuge des Klimawandels breiten sich die Wüsten aus. Das könnte zum Beispiel für Europa gelten, dass wir eine Versteppung erleben, also dieses Thema, was mit unseren Wäldern passiert. Die Sahelzone, die könnte deutlich grüner werden, also die Sahara könnte kleiner werden. Man weiß aus Eisbohrkernen, die man in der Antarktis und in Grönland gebohrt hat, dass immer dann, wenn es Warmzeiten gab, kleinere Wüsten existierten. Man hat dann kaum noch Wüstenstaub in diesen Eisbohrkernen gefunden, sondern deutlich mehr Pollen, Blütenpollen, die dann auch über die ganze Welt transportiert werden, weil die so leicht sind, und während der Kaltzeiten gab es deutlich mehr Wüstenstaub und weniger Pollen. Wir machen es hier wärmer, und das, was ich vorhin schon gesagt habe, höhere Temperaturen bedeuten mehr Feuchtigkeit, und wir messen auch über die letzten Jahrzehnte eine Zunahme der weltweiten Niederschläge. Das heißt, die Sahelzone könnte grüner werden, außer der Mensch kommt und jagt eine Million Ziegen darüber und die fressen jedes kleine Bäumchen wieder weg, aber das ist ein anderes Thema. Klimatisch gesehen könnte die Sahara kleiner werden. Jetzt könnte man sagen, super – aber das ist fatal.
Das ist klimatisch gesehen eins dieser Kippelemente und einer dieser Zusammenhänge, die man genau verstehen muss. Wenn man sich ein Satellitenbild vorstellt, so einen Blick aus dem All auf die Erde, dann ist die Sahara ein großer, gelber, heller Fleck. Der tropische Regenwald im Kongo ist hingegen dunkelgrün. Das heißt, dieser tropische Regenwald, der speichert ganz viel Sonnenlicht, das von oben reinkommt, die Sahara hingegen wirkt wie ein Spiegel, und außerdem heizt sich die Sahara tagsüber bis auf 70 Grad auf, direkt auf diesem Sand, der wird 70, 75 Grad heiß. Diese Hitze ist wie eine Herdplatte, die strahlt die gesamte Wärme – es gibt dort kaum Wolken –, die gesamte Nacht über ins Weltall ab. Als ich damals studiert habe, hat unser Professor für Strahlungsphysik gesagt, der größte Kühlschrank der Erde ist die Sahara. Sie kühlt unsere Erde stärker als Nord- und Südpol, weil dort weniger Sonnenlicht ankommt. Und das heißt, in dem Moment, wo die Sahelzone grüner wird und die Sahara kleiner, verstärken wir die Erwärmung. Das sind sich selbst verstärkende Momente, die unabhängig von unserem CO2 das Ganze noch beschleunigen können.
Hans Mörtter
Im Jahr 2016 war ich mit Freunden bei der Gründung des Ernährungsrats Köln im Historischen Rathaus zugegen. Das ist ein Zusammenschluss vieler Gastronom*innen, Händler*innen, Landwirte und Landwirtinnen aus der Region in Zusammenarbeit mit der Stadt Köln und dem Land Nordrhein-Westfalen. Da wurde seitdem schon einiges in Bewegung gesetzt. Trotzdem muss unser Bewusstsein, z. B. beim Nahrungsmittelkauf geschärft werden. Im Winter wachsen hier keine Tomaten, und auch die Tomaten aus dem Bio-Markt kommen aus dem Treibhaus in Spanien. Aber trotzdem gibt es in unserer Stadt ganz kostbare und wesentliche Aufbrüche.
Karsten Schwanke
Es gibt eine Studie über die wichtigsten To-Dos, um den CO2-Ausstoß herunterzufahren, die ich sehr augenöffnend fand. Erneuerbare Energien sind wichtig, aber ganz oben auf der Liste, Punkt Nummer eins war freier Zugang zu Bildung für Mädchen und Frauen weltweit und freie Rechte bei der Familienplanung für Frauen weltweit. In den Ländern, in denen das gewährleistet ist, sinkt automatisch die Geburtenrate, unabhängig davon, wie reich oder wie arm ein Land ist. Und natürlich macht es einen Unterschied, ob wir 7 Milliarden Menschen auf der Welt sind oder zehn Milliarden. Wobei ich direkt dazusagen muss, wenn man darüber redet, dann kommt ganz oft auch so ein Störfeuer aus einer ganz bestimmten Ecke. Mit welchem Recht stellen wir uns hin und sagen, die da sind zu viel, also das ist ganz gefährlich und gehört auch verboten, diese Diskussion, aber die Stärkung von Frauenrechten und Zugang zu Bildung, damit erreicht man viel mehr. Wir müssen auch unsere Entwicklungshilfe viel stärker in diese Sachen investieren, mit dem Wissen, dass ich damit einen großen Hebel habe, um den CO2-Ausstoß weltweit herunterzufahren.
Hans Mörtter
Entwicklungshilfe hat bisher so gut wie gar nichts verbessert.
Karsten Schwanke
Das ist ein anderes Thema.
Hans Mörtter
Genau, das ist Ausbeutung Afrikas. Also Fakt ist, dass wir uns nicht täuschen lassen. Wenn Leute hingehen und sagen, ja, aber die Überbevölkerung ist schuld, dann ist das allerschlimmster Rassismus. Das heißt nämlich, die Weiße-Herren-Rasse ist nach wie vor da und sagt, dass Afrika oder Asien schuld ist, weil sie zu viele sind. Das ist gelogen, denn gerade diese Länder sind diejenigen, die zum Teil nur geringen Anteil an der CO2-Erhöhung haben.
Karsten Schwanke
Gerade Afrika. Ich glaube, Deutschland verursacht wahrscheinlich mehr als ganz Afrika zusammen.
Hans Mörtter
Deutschland steht an sechster Stelle weltweit, hinter den USA, China und den anderen Großen, und wir sind ein kleines Land im Vergleich zu China. An sechster Stelle, das ist nicht ohne. Obwohl es kleine Erfolge gibt irgendwo. Als Fazit würde ich sagen, wie wichtig es ist, dass wir aufwachen, dass wir uns bemerkbar machen, dass wir Fridays for Future stärken.
Karsten Schwanke
Dass wir unseren Kommunalpolitikern Druck machen, dass sie endlich eine Veränderung dieser Stadt ernsthaft in Angriff nehmen und nicht nur ein paar weiße Striche auf die Straße pinseln.
Hans Mörtter
Unsere Oberbürgermeisterin hat letzte Woche gesagt: Ich stehe ein für Klimaneutralität. Und im nächsten Satz sagt sie: Aber man muss Kompromisse machen in der Politik. Das heißt, die Klimaneutralität der OB, so sehr ich sie auch mag, ist Geschwätz. Zum Beispiel Norwegen: In fünf Jahren, ab 2025, werden alle norwegischen Innenstädte per Gesetz autofrei sein. Warum ist das bei uns nicht möglich? Weil es nicht gewollt ist. Die Menschen, die in der Stadt leben, müssen es umsetzen. Gleichzeitig das Wort Stille. Das ist mir Heiligabend oder in den Weihnachtstagen ganz besonders aufgefallen – dieses Mal, obwohl ich das jedes Jahr schätze, aber diesmal ist mir das krass aufgefallen, und am Anfang der Sommerferien: Da fährt kein Auto, es ist still. Diese Stadt kann still sein. Ich hab nur gedacht: Wow, tut das gut. Wieso merk ich das nicht, wenn es täglich so laut ist? Ich merk’s ja, aber warum nehme ich Idiot das hin? Warum gehe ich nicht auf die Straße und sage: Scheiße, ich möchte ab und zu, dass diese Stadt ruhig ist, und ich möchte nur Menschenstimmen hören in den Cafés, aber ich möchte dieses Gebrumm und dieses Gelärme nicht jeden Tag haben, denn das ist ungesund. Das tut meiner Seele und das tut uns allen nicht gut, das macht uns aggressiv, ohne dass wir es merken. Also da ist ganz viel Wandel nötig. Wir müssen uns unser Menschsein zurückholen, wir müssen das wieder entdecken, wir müssen es buchstabieren. Und wir sind schlau, zusammen sind wir unglaublich schlau.
Karsten Schwanke
Definitiv, wir sind nicht doof, und wie gesagt, wir haben die Möglichkeiten, aber man muss sie auch einsetzen wollen. Noch ein Punkt zu Köln und falsch verstandenem Klimaschutz, also wie es nicht gehen kann: Da wird zum Beispiel durch die Bonner Straße die Verlängerung der Stadtbahn nach Süden gebaut. Wo fängt diese Stadtbahn an? Am Verteilerkreis. Da wohnt kein Mensch. Dann soll neben der verschwundenen Aral-Tankstelle ein P&R-Parkplatz hinkommen. Wenn ich mich da morgens hinstelle und die Autos zählen würde, die morgens in die Stadt fahren – und ich meine das ernst mit diesem P&R, kostenlos parken, umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel –, dann müsste dort ein mindestens 20 Stockwerke hohes Parkhaus stehen. Parken müsste kostenlos sein, und diese Stadtbahn müsste im Ein-Minuten-Takt kostenlos fahren. Dann kommen wir zusammen. Da frage ich mich, wer geplant hat, dass eine U-Bahn dort aufhört, wo kein Mensch wohnt.
Hans Mörtter
Das ist Köln. Karsten, ich danke dir von Herzen, und ich sehe, dass wir an diesem Thema dranbleiben müssen, aber dass wir uns als Menschen dieser Stadt wirklich selbst auf den Weg machen müssen, dass wir überall darüber reden müssen und dass wir auch – ich bin in zwei Arbeitskreisen –, Gruppen gründen, dass wir für die Stadt denken und dann der Politik sagen: So, ihr seid jetzt dran, und das erwarten wir von euch im Jahr 2021. Danke euch, dass ihr die Geduld gehabt habt! Und danke Dir Karsten für Deine klaren Ausführungen.
Karsten Schwanke
Danke schön!
Copyright: Karsten Schwanke und Hans Mörtter