Hans Mörtter
Sie gehören zu denen, die etwas ganz Wichtiges erkannt haben und Ende der 80-er Jahre die Gründung der PSU, der psychosozialen Unterstützung, mit veranlasst haben.
Stephan Neuhoff
Ja. Nach dem Krieg waren die Feuerwehrleute Menschen, die im Krieg schreckliche Dinge erlebt, die hatten Tote gesehen, das Leiden erfahren. Als sie dann im beruflichen Leben wieder damit konfrontiert wurden, waren sie schon gewöhnt daran. - Ob sie das wirklich verarbeitet hatten, ist eine ganz andere Frage. - Aber in dem Maße, wie diese Generation dann aus dem aktiven Dienst ausstieg, kam das auf die jungen Kolleg*innen unvorbereitet zu. Viele waren noch nicht mit dem Tod konfrontiert worden. Irgendeiner hat mal nachgerechnet, dass der normale Feuerwehrmann im Laufe seines Berufslebens etwa 800 Tote erlebt. Das ist der Durchschnitt. Wie kann man den Kolleg*innen helfen, diese furchtbaren Erlebnisse zu verarbeiten? Da kam mir eben der Gedanke, ihnen zu helfen. Einige davon wollten Seelsorge, also haben wir uns an die katholische und evangelische Kirche gewandt, ob die uns nicht mit Seelsorger*innen helfen könnten? Wir waren uns darüber im Klaren, dass die Psychologie nicht reicht. Die kann zwar helfen, irgendwie damit zu leben, aber die Sinnfrage kann sie letztendlich nicht beantworten. Ich erinnere mich wie heute an einen Wohnungsbrand in Deutz. Bei der Anfahrt war nicht bekannt, dass Menschenleben in Gefahr sind. Als wir ankamen, flog unten die Türe auf. Da kam ein Feuerwehrmann heraus. Der hatte ein Kind auf dem Arm, einen blonden Jungen, zwei Jahre alt, mit einem Schlafanzug, weiß mit roten Maikäfern darauf. Das ging mir durch und durch, weil mein eigener Sohn auch zwei Jahre alt war, blond, und den gleichen Schlafanzug hatte. Man ist so mit der Vergänglichkeit des eigenen Lebens konfrontiert. Ich wollte den Kolleg*innen helfen und auch eine Antwort bieten, die tiefer geht als die Psychologie. Ich will die Psychologie nicht schlecht machen, aber sie kann die letzte Frage nicht beantworten. Damit zumindest die Möglichkeit besteht, dass den Kolleg*innen diese letzte Frage, die Sinnfrage, beantwortet wird, war es mir wichtig, dass es diese Feuerwehr-Seelsorge gibt. Und wir haben auch das PSU-Team, das sind 12 Kollegen von der Feuerwehr, die nach belastenden Einsätzen mit den Mitarbeiter*innen reden. Die auch immer mehr Prävention machen, indem sie die Kollegen darauf vorbereiten, was alles passieren kann und wie ihre Reaktion darauf sein könnte. Die werden für die Problematik sensibilisiert.
Hans Mörtter
Bei meiner Ausbildung als Notfallseelsorger wurde auch präventiv gearbeitet. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir haben mit professionellen Schauspieler*innen geprobt, wie man Menschen, die einen Suizid androhen, davon abhalten kann. Wenn das aber nicht gelingt und dieser Mensch nun doch springt, dann wurde uns beigebracht: Augen zu und Ohren zuhalten, damit wir die Bilder nicht sehen und den Schrei oder den Aufprall nicht hören. Ansonsten würde man diese Bilder und Geräusche ein Leben lang in sich drin haben. So was lernt man dann eben in der Vorbereitung, es ist gut, dass es das gibt.
Stephan Neuhoff
Wenn ich Kolleg*innen, die mit 60 in den Ruhestand gehen, ihre Urkunde überreiche, spreche ich immer noch mit ihnen. Die sind hochzufrieden und dankbar für die Arbeit, die sie leisten konnten. Aber es gibt auch andere, die verschwinden mit 40, 45 Jahren mit irgendwelchen Krankheiten oder Schäden aus diesem Beruf. Sie konnten es nicht ertragen. Rund 40 Prozent gehen bei uns vorzeitig in den Ruhestand.
Hans Mörtter
Sie hatten auch davon geredet, dass Sie vermehrt Orientierungslosigkeit bei den Menschen wahrnehmen.
Stephan Neuhoff
Da ist wirklich eine Orientierungslosigkeit und eine zunehmende Vereinsamung der Menschen. Ich würde mir für manche wünschen, dass gerade die Kirchen mehr nach außen gehen. Viele Menschen gehen nicht mehr in die Kirche, deshalb sollte die Kirche versuchen, sie dennoch zu erreichen. Sie brauchen Hilfe. Die Kirche ist Licht, Salz und Sauerteig, wie das im neuen Testament steht, die Kirche sollte ein Licht und eine Hoffnung für die Menschen sein. Wir als Christen sind da gefordert, auf die Menschen zuzugehen, heraus aus den Gotteshäusern sozusagen.
Hans Mörtter
Wir sollten also frecher darauf losgehen, die Menschen suchen, ihnen begegnen. Ich versuche immer wieder Nachbarschaft einzufordern, dass wir einander wahrnehmen in dieser Stadt. Wer wohnt neben mir, wer wohnt über und unter mir, wer ist das überhaupt, und warum mag ich den nicht, und warum ätzt der mich an, was ist an diesem Menschen eigentlich dran, welche Geschichte hat er, und haben wir vielleicht doch was miteinander zu tun – das würde ich als Herausforderung für das Köln von Morgen zu sehen. - Angesichts der vielen Katastrophen, mit denen Sie zu tun haben, wollte ich abschließend noch fragen, welche Bedeutung hat Ihr Hochzeitstag für Sie oder der Geburtstag Ihrer Kinder?
Stephan Neuhoff
Manchmal muss die Familie unter meinem Beruf leiden. Nachdem das Stadtarchiv eingestürzt war, war ich zehn Tage lang nur unterwegs. Aber es gibt auch andere Situationen, da ist die Familie einfach wichtiger. Meine elf Kinder und die Ehe sind mir ja auch von Gott anvertraut worden. Sollte ich mal vor unserem Herrgott stehen, dann wird er mich fragen: Was hast du mit deinen Kindern gemacht? Warst du als Vater präsent, hast du dich um sie gekümmert oder hast du nur deinen Erfolg und deine Anerkennung im Beruf gesucht? Aber jetzt da den richtigen Weg zu finden, da gibt es kein Patentrezept.
Hans Mörtter
Zum Abschluss habe ich ein Zitat von Platon: „Indem wir das Wohl anderer erstreben, fördern wir unser eigenes.“
Stephan Neuhoff
Das ist für mich eine sehr tiefe Frage, nämlich die Frage nach dem Sinn meines Lebens. Was macht mich letztendlich aus oder wofür lebe ich? Die Hingabe an den anderen, die Liebe zum anderen, ich glaube, das ist so die tiefe Bestimmung des Menschen. In der Schrift heißt es doch: Wer sein Leben verliert, der wird es gewinnen! Das ist für mich vergleichbar damit. In dem Maße, wie ich für andere da sein kann, für die Familie, für die Menschen, für die Mitarbeiter, die mir anvertraut sind, in dem Maße bin ich doch zufrieden und dankbar und glücklich.
Hans Mörtter
Wunderbar, ich brauche heute keine Predigt mehr zu halten. Ich finde es phänomenal, wie Stephan Neuhoff das auf den Punkt bringt. Wenn wir nicht bereit sind, selbst unser Leben für andere hinzugeben, leben wir dann überhaupt? Ich sein kann ich nur im Wir. Dazu gehört auch die Hingabe. - Vor zwei Tagen hatte ich kurz mit Ihnen telefoniert und habe Ihnen schon mal ein paar Fragen genannt. Da sagten Sie: Oh Gott. Das geht aber ziemlich weit und tief. Ich bin doch nur ein einfacher Feuerwehrmann. Ich finde es wunderbar, dass es diesen „einfachen“ Feuerwehrmann in unserer Stadt gibt. Vielen Dank, Stephan Neuhoff.