Hans Mörtter
Hier in Deutschland ist es schwierig, die israelische Politik zu kritisieren. So haben wir es zumindest in Bezug auf die Nakba-Ausstellung hier in Köln erlebt. Doch als Menschen, die wir das jüdische und das palästinensische Volk lieben, haben wir gar keine andere Wahl, als die israelische Regierungspolitik zu kritisieren, infrage zu stellen und für die Lösung des Konflikts einzutreten.
Rupert Neudeck
Das Entscheidende ist: Wir leben in einem weltpolitischen Umbruch, und wir sind alle Zeitzeugen davon. Der mächtigste Mann der Welt, Barack Obama, hat im Falle von Palästina-Israel bewiesen, dass er nicht mehr der Mächtigste ist. Er hat im Juni 2009 versprochen, Indikativ, Ausführungszeichen: „Es gibt einen Siedlungsstopp!“ Er hat nicht gesagt: „Wir bitten darum“. Er hat gesagt: „Es wird den geben!“ Er ist nicht in der Lage, den durchzusetzen! Deshalb ist es ein ganz großer weltpolitischer Wandel, die USA sind nicht mehr die einzige Supermacht, wir haben eine neue Situation mit Indien, China, Brasilien. Wir haben auch die EU, von der wir alle uns erhoffen, dass sie sich erholt. Deshalb ist die Rolle von Europa in diesem Konflikt sehr viel größer geworden, aber wir sind da noch nicht sehr weit, weil da auch noch heftige Feigheit grassiert. Feigheit, die nicht vor dem Feind ist, sondern vor dem Freund. Freunden muss man etwas zumuten können, sonst sind es ja keine Freunde. Ich bin sehr froh darüber, dass wir in Israel gleich nach den USA als das wichtigste und zuverlässigste Land der Welt gelten, in Bezug auf Israel. Das ist sehr gut, aber das müssen wir jetzt ausnutzen, damit diese schreckliche Wunde am Körper der Menschheit, damit diese schreckliche Wunde nicht nur vernarbt, sondern geheilt wird. Das, glaube ich, ist unser Auftrag in dieser Generation.
Hans Mörtter
Also reden wir mutig! Ihr jüdischer Freund Uri Avnery hat ein Bekenntnis abgegeben: „Es gibt keine wirkliche Feindschaft zwischen Arabern und Israelis. Wenn das Eis einmal gebrochen ist, verbrüdern sie sich leicht und vollen Herzens.“
Rupert Neudeck
Das ist wahr! Er hat das immer wieder bewiesen dadurch, dass er vorangegangen ist, dass er gegen Verbote, gegen staatliche, gesetzliche Verbote, die palästinensische Führung getroffen hat, als das noch verboten war nach Israel-Gesetz. Er hat das immer wieder, Zeit seines Lebens, getan und ich bin ganz fest davon überzeugt, dass er mit seiner anderen Einschätzung recht hat, wenn er seinen palästinensischen Brüdern und Schwestern gesagt hat: „Die besten Verbündeten, die ihr überhaupt habt auf der Welt, ist unsere Friedensbewegung!“ Dass die nicht mehr so mächtig ist, darüber haben wir eben gesprochen, aber es ist dennoch eine wirkliche Kraft. Jedenfalls kräftiger als in Deutschland. Eine solche Nakba-Ausstellung würde Uri Avnery mitten in Tel Aviv machen.
Hans Mörtter
So mache ich zum Schluss auf "Get the Wall" aufmerksam. Das ist ein ganz hoffnungsvolles Unternehmen, ein sehr freches, demaskierendes: Wir Deutschen haben ja Erfahrung mit Mauern, die trennen, die töten und ersticken.
Rupert Neudeck
Die Idee ist von Rechtsanwalt Winfried Seibert, der heute auch hier ist. Jede Mauer in der Menschheitsgeschichte ist gefallen. Wir Deutschen wissen das am besten, weil keiner erwartet hat, dass sie fallen würde, aber dann ist sie plötzlich zusammengerumpelt. Die Bundesregierung hat jetzt schon Schwierigkeiten, Mauerstücke zu finden, die sie Staatsbesuchern als Präsent geben kann. Damit das nicht allen so passiert wie der Bundesregierung, gibt Winfried Seiberts Website die Möglichkeit, oben aus einem Ein-Kilometer-Fotorahmen der Mauer sich mit einem Mausklick ein Stück der israelischen Mauer jetzt schon zu sichern. (Anm. d. Red.: Die Webseite existiert nicht mehr). - Allein um auch Erich Honecker nicht recht zu geben, der gesagt hat, die Mauer wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen! Das war eine große Dummheit von ihm, solche Dummheit sollte heute nicht mehr vorkommen!
Hans Mörtter
Gut, wir setzen drauf! Ich komme zum Schluss mit dem Propheten Jesaja, im zweiten Kapitel. Er redet von dem Wandern der Völker zum heiligen Berg Zion, wo sie sich alle treffen, wir rufen auf Gottes Wort hin: „Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen, denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen! Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!“ Auf dass das auch Netanjahu hört! Denn diese Worte, das war der Sprengkeim zum Fall der Mauer in Berlin! Damit hat es angefangen.
Die Seligpreisungen, sie haben sehr viel zu tun mit unserer Erde, mit uns Menschen und dem Himmel und unserer Politik: Selig sind, die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden! – Ich bin froh, dass Rupert Neudeck ein Mensch ist, der immer hungert und immer dürstet, sich nicht zufrieden gibt, denn nur so kann Gerechtigkeit Fuß fassen auf dieser Erde, und wenn viele von uns sich dem anschließen. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Wenn wir nicht hinsehen und auch riskieren, darüber zu weinen, wütend zu werden und Schmerz zu empfinden, dann verpassen wir das Leben, unser eigenes nämlich, und das der anderen sowieso! Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Denn wer nur meint, dass das schon zu anstrengend im Kleinen wäre, und das Große dabei aufgibt, gibt sich selbst dabei auch auf. Also, stehen wir auf und gehen los! Vielen Dank, Rupert Neudeck!
Redigiert von Helga Fitzner