Frage von Helga Fitzner
Was ist denn so verstörend an dem Thema?
Hans Mörtter
Es geht um die Vertreibung der Palästinenser*innen, als 1948 der Staat Israel gegründet wurde. Die Ausstellung zeigt, wie die Palästinenser*innen ihre Heimat verlassen mussten und zu einem Volk von Flüchtlingen wurden. Einige ihrer Dörfer sind dabei vernichtet worden, so dass sie nicht zurückkehren konnten.
Frage
Sie machen sich also der Israelkritik "schuldig"!?
Hans Mörtter
Nein. Dabei geht es uns nicht im geringsten darum, zu behaupten: Guck mal, wie „böse“ die Israelis damals gewesen sind. Aber die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung ist ein historisches Faktum.
Frage
Was ist Ihr Anliegen?
Hans Mörtter
Es geht darum, dass dieser Umstand anerkannt wird, damit irgendwann eine Versöhnung stattfinden kann. Es geht darum, dass diese Art von Geschichte sich nicht wiederholt. Es geht um Zukunft. Man kann im Falle Palästinas sicher um viele Detailfragen streiten, aber dass es eine Vertreibung gegeben hat, ist eine belegbare Tatsache. Das brachte Leid über die Menschen, die seit vielen Generationen dort gelebt hatten. Die mussten ihr Land, ihre Olivenbäume, ihre Familiengräber, alles zurücklassen. Das ist ein Trauma. Das stelle ich erst einmal fest. Dann frage ich, was heißt es denn heute, nach diesen Geschehnissen miteinander zu leben.
Frage
Sie weisen auch immer wieder darauf hin, dass vielen der Juden und Jüdinnen, die damals ins Heilige Land gekommen sind, von den Deutschen unaussprechliche Gräuel angetan worden waren.
Hans Mörtter
Richtig. Beide Völker leiden, jedes auf seine Art, an einer kollektiven Traumatisierung. Die können nur ein gemeinsames Haus bewohnen, wenn sie das Trauma des anderen wenigstens anerkennen. Das ist auch eine große Herausforderung für die palästinensische Seite, die berechtigte Existenzangst des jüdisch-israelischen Volkes ernst zu nehmen.
Frage
Die Menschheit hat so eine Art angeborene Vernichtungsangst, zum Beispiel, vor Naturkatastrophen oder Meteorit-Einschlägen. Für das jüdische Volk ist aber innerhalb der erinnerbaren Geschichte eine Massenvernichtung unvorstellbaren Ausmaßes Realität geworden.
Hans Mörtter
Ja. Deswegen sollten wir Deutschen vielleicht versuchen, behutsam Brücken zu bauen für eine gegenseitige Wahrnehmung. Für mich heißt das auf keinen Fall, indem ich von der palästinensischen Geschichte erzähle, dass ich ein Feind Israels wäre. Ich bleibe der Bruder Israels, durchaus auch der In-Der-Schuld-Stehende.
Frage
Was für Brücken sollen damit gebaut werden?
Hans Mörtter
Ich glaube, dass wir neben der jüdischen auch die Geschichte der Palästinenser*innen kennen müssen, und zwar ohne Verurteilung des israelischen Volkes. Da geht es nicht um Parteinahme, denn die müssen ja miteinander leben. Es gibt keine Alternative dazu...
Frage
... doch, eine Mauer.
Hans Mörtter
Eine Riesenmauer. Die ist der Albtraum, gerade für uns Deutsche. Was habe ich gegen die deutsche Mauer damals für einen Hass entwickelt. Ich als Pfarrer und Pazifist hatte Vorstellungen, dass ich Handgranaten werfe und das Ding in die Luft sprenge. Dieser Hass entsprang aber dem furchtbaren Gefühl von Ohnmacht und Verzweiflung. Die Mauer in Israel steht für Trennung von Wegen, von Menschen, von ganzen Dörfern und Gemeinschaften. Sie geht mitten durch Olivenhaine, die die Identität und die Wurzeln von palästinensischen Bauern sind. Aber wir müssen heraus aus einer Schuldzuweisung und angstbesetzten Diskussion. Ich muss erst einmal wahrnehmen. Mit dem Blick des anderen zu schauen, geht nur, wenn ich dem anderen mal zuhöre.
Frage
Die Beschäftigung mit dem Thema wird von bestimmten Gruppierungen als anti-israelische Haltung gewertet.
Hans Mörtter
Anti-israelisch sind für mich die Faschist*innen. Da müssen wir extrem wachsam sein, weil der Faschismus sich gegen Juden, Muslime und moderne Christen *) gleichermaßen wendet. Wenn ich einen Menschen als Bruder liebe und ich sehe, dass er etwas tut, was schlimme Auswirkungen für ihn hat, oder wenn ich sehe, dass er in eine Sackgasse rennt, dann muss ich ihm das sagen, weil ich ihn liebe.
Frage
Wie stehen Sie zu den jüdischen Israelis?
Hans Mörtter
Ein jüdischer Mensch ist für mich ein Mensch, dem ich gerne zuhöre und der ein willkommenes Gegenüber für mich ist. Ich sehe in ihm nicht zuerst ein Holocaust-Opfer oder den Nachfahren eines solchen. Er hat vielleicht einfach eine Weltsicht, die mich neugierig macht. Ich lerne gerne dazu. Für mich als Pfarrer ist er in erster Linie ein Mensch, der einen Glauben hat, mit dem ich sehr viel gemeinsam habe.
Frage
Jesus war Jude.
Hans Mörtter
Jesus war Jude, fast sein ganzes Umfeld war jüdisch. Die jüdische Thora ist als Altes Testament auch unsere Bibel. - Das jüdische Volk ist im Laufe der Nachkriegsgeschichte auch zu unserem Partnervolk geworden. Wir sind dem Volk schuldig, ehrlich mit ihm zu sein und nicht den Politikern oder den militärischen Führern, die gerade vorübergehend an der Macht sind, nach dem Mund zu reden. In der israelischen Presse wird ja auch massiv die Siedlungspolitik des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im Westjordanland kritisiert.
Frage
Wenn die israelische Presse diese Kritik äußert, ist das aber etwas anderes, als wenn das aus Deutschland kommt.
Hans Mörtter
Das ist ein Unterschied. Aber ich finde, man muss es ihnen sagen. Die Israelis haben dann immer noch die Möglichkeit zu antworten: Das interessiert uns nicht. Das ist ihr Recht. Aber mein Recht ist es auch zu sagen mit großer Achtung: Leute, das ist fatal, das führt zu immer mehr Hass, zu immer mehr Verzweiflung. So gibt es keine Zukunft. Ich wünsche Euch aber Zukunft. Ich wünsche Euch Schalom und Salaam. Jerusalem ist die heilige Stadt von drei Weltreligionen. Das ist die große Herausforderung. Wenn wir es nicht schaffen, da in ein friedliches Miteinander-Leben zu kommen, wenn wir den Kindern und Jugendlichen nicht beibringen, dass das möglich ist, wenn wir „Alten“ das nicht schaffen, dann können wir diesen Planeten aufgeben.
*) Trotz der ausschließlich männlichen Form sindim Geiste Frauen immer mit eingeschlossen