Peter Clös
Herr Horbach, könnten Sie uns eingangs Ihren bunten Lebenslauf schildern?
Michael Horbach
Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie und habe diese Wurzeln immer behalten. Zum Unternehmertum bin ich gekommen, wie die Jungfrau zum Kinde. Meine ehemalige Freundin hat mich nach ihrem Medizinstudium um Rat gefragt, wie sie ihre geplante Praxisgründung finanziell vorbereiten solle. „Du bist doch Volkswirt, was muss ich denn machen?“ Das war der Startschuss meiner erfolgreichen Wirtschaftsberatung.
Da ich wusste, wie es in einer Arbeiterfamilie zugeht, habe ich von Anfang an 10 % der Gewinne in soziale Projekte investiert. Mein Unternehmen hatte eine Vision: Jeder Mensch hat ein Recht auf wirtschaftliche Freiheit. Unser Rat war: Jetzt Sparen, damit man sich später das eine oder andere leisten kann oder z. B. mit 60 Jahren nicht mehr arbeiten muss. Insofern ist Sparen und Geldanlegen eine vernünftige Sache. - Nur was daraus wird, wenn es nur noch um Renditemaximierung geht, das erleben wir jetzt.
Peter Clös
Sie sagten gerade, dass Sie erlebt haben, wie es in einer Arbeiterfamilie zugeht. Wie ging es denn da zu? Wollten Sie aus dem Arbeitermilieu heraus?
Michael Horbach
Ich habe das nie negativ gesehen. Ich hatte auch nie das Gefühl, dass mir etwas fehlte. Bei uns gab es zweimal im Jahr Cola oder Limo, sonst gab es Leitungswasser. Mein Vater konnte sich nie ein Auto leisten, sondern fuhr Moped. Ich habe aber nie vergessen, wie mein Vater malochen musste, um seine Familie zu ernähren. Deshalb finde ich es unglaublich, wenn heute ein Investmentbanker im Jahr 10 Millionen, ja sogar 100 Millionen Euro verdient. Es regt mich auf, wenn dann noch behauptet wird, dass das gerecht wäre, mit dem Argument, dies sei der Marktmechanismus, bei dem es um Angebot und Nachfrage ginge. Oder noch schlimmer und dreister: „Die schaffen ja auch so hohe Werte“. Mein Vater hat Straßen gepflastert. Da ist ein nachhaltiger Wert entstanden. Die Banker haben eine Weltwirtschaftskrise geschaffen und Werte in Billionenhöhe vernichtet. Muss da auch nur einer einen Teil seiner zu Unrecht verdienten Millionen zurückgeben? Der Steuerzahler muss die Zeche zahlen. Viele Arbeitnehmer*innen werden durch die Wirtschaftskrise ihren Arbeitsplatz verlieren. Wie anständig sind die Politiker*innen und die Banker*innen? Das ist die Frage, die ich mir stelle. Paul Krugmann, der Nobelpreisträger für Wirtschaft 2008, schrieb in einer seiner Veröffentlichungen: „Im letzten Jahr hat der bestverdienende Hedgefonds-Manager in den USA genau so viel verdient, wie alle Lehrerinnen und Lehrer des Staates New York in drei Jahren verdienen“. Wann wird dieser Skandal hinterfragt? Es wird immer behauptet, es gäbe kein besseres System. Gut, der Kommunismus hat sich auch nicht bewährt, den will auch keiner wirklich. Aber sind wir in der Lage, unser System entscheidend zu verbessern, einen Ordnungsrahmen für die Wirtschaft zu schaffen, innerhalb dessen so ein Blödsinn nicht passieren kann und in dem es deutlich gerechter zugeht? Haben wir denn wirklich schon Sozialismus, wie FDP-Chef Guido Westerwelle behauptet, wenn der Staat versucht, die Ausuferungen der neoliberalistischen Wirtschaftspolitik einzuschränken?
Es ist schon verrückt: Nicht für die Bedürftigen und an Hunger Sterbenden werden weltweit Billionen ausgegeben, sondern für die Banken. Nicht die Partei hat deutlich Stimmenzuwächse, die vehement vor der Deregulierung der Finanzmärkte gewarnt hat (die Linke), sondern die Partei, die die neoliberale Wirtschaftspolitik gewollt hat und auch jetzt noch vertritt (FDP).
Peter Clös
Unser Innenminister Wolfgang Schäuble sagte neulich in einem Interview für den „stern“, dass der Sozialismus gut und schön sei, aber nicht dem Naturell des Menschen entspräche.
Michael Horbach
Das ist aber ein furchtbares Menschenbild. Was im Menschen steckt, wissen wir alle. Wir wissen es aber auch nicht. Das ist für mich das größte Geheimnis überhaupt. Ich gehe davon aus, dass der Mensch beides in sich trägt. Das Gute und das weniger Gute. Jetzt ist die Frage, ob wir ein Wirtschaftssystem und eine Ordnung schaffen können, in der mehr das Positive im Menschen angeregt wird als das Negative. Für mich ist beim „Turbo-Kapitalismus“ eindeutig, dass die negativen Instinkte des Menschen gefördert werden. Das ist für mich eine der schlimmen Auswirkungen der neoliberalen Philosophie, nach der Wirtschaft, Handel und Kreditwesen von allen gesetzlichen Schranken befreit sein müssen. Wem das dient, ist eine Frage, die in unserer bürgerlichen Presse nicht gestellt wird.
Peter Clös
Welche Bedeutung hat Geld für Sie persönlich? Stehen der Kontostand und die jeweilige Lebensenergie, die man hat, in einem Kausalzusammenhang?
Michael Horbach
Wir leben nun mal in einer kapitalistischen Welt und deshalb sind wir auch geprägt von unserem Wirtschafts- und Finanzsystem. Natürlich fühlt man sich besser, wenn man Geld hat, vielleicht sogar viel Geld. Die Frage ist nur, inwieweit man sich davon abhängig macht. Mein Ziel als Student war es, 2000,-- DM netto pro Monat zu verdienen. Alles andere ist von alleine gekommen, weil ich nur das gemacht habe, von dem ich völlig überzeugt war. Mit großer Leidenschaft. Wenn man heute Student*innen fragt, was sie werden wollen, denken viele fast nur in Geld. Die wollen das machen, womit sie am schnellsten Geld verdienen können, dabei ist es fast schon egal wie und womit. Ich gebe zu, dass es mein Lebensziel war, mit 50 Jahren finanziell unabhängig zu sein, um andere Sachen machen zu können. Diese finanzielle Unabhängigkeit habe ich erreicht. Heute geben sich viele junge Leute mal gerade fünf Jahre Zeit dafür. In fünf Jahren wollen sie Millionär sein. Ein Großteil der Jugend drückt heute ihre Wertigkeit im Verdienst aus. Das ist ein Produkt unseres Systems. Wenn man dagegen ist, dass jemand wie Herr Ackermann 14 Millionen im Jahr verdient, heißt es gleich: Das ist der Neid. Ich selbst habe gar keinen Grund, neidisch zu sein. Das ist vielmehr ein ganz tiefes menschliches Gefühl, dass an unserem Einkommensgefüge etwas nicht stimmt. Das spürt die Mehrheit der Bevölkerung.
Die Marktwirtschaft sollte Grundlage unserer Wirtschaftsordnung sein. Aber da, wo sie nicht funktioniert, muss man etwas anderes schaffen. Dafür haben wir einen demokratisch legitimierten Staat. Es heißt zwar immer, dass die Politik um Gottes Willen nicht Unternehmer spielen soll. Die können das einfach nicht, wird behauptet. Aber schlimmer als die Banker das jetzt vorgemacht haben, kann der Staat das auch nicht zersägen. – Mehr als vier Billionen weltweit für die Banken. - Ich kann mich gut daran erinnern, als die Linke vorschlug, 50 Milliarden auszugeben, u. a. um Hartz IV zu verbessern. Ich habe in dem Forderungskatalog nichts Unsinniges gefunden. Die bürgerlichen Parteien haben das damals abgekanzelt, damals hieß es, das sei Populismus, da unfinanzierbar. Nun zeigt sich, dass es zehn Mal finanzierbar gewesen wäre, man hätte es nur wollen müssen. Und jetzt wird es eine weitere Umverteilung von unten nach oben geben.
Oscar Lafontaine ist kein Sympathieträger, auch für mich nicht, aber er hat von wirtschaftlichen Dingen wirklich Ahnung. Der ist damals u. a. deshalb zurückgetreten, weil er gegen die Deregulierungsmaßnahmen in der Finanzwelt war. Der wollte einen Ordnungsrahmen, weil er der Ansicht war, dass man der Wirtschaft keinen freien Lauf lassen dürfe. Die Amerikaner und Briten setzten sich aber mit ihrer neoliberalen Politik durch, u. a. weil sie mit ihren Börsen Milliarden verdienen. Neuerdings behauptet sogar die CDU, dass sie schon immer einen Ordnungsrahmen verlangt hätte. Ich lese sehr viel, aber ich habe das vorher nirgends finden können, außer bei Heiner Geißler und Norbert Blüm, die bei der CDU leider nichts mehr zu sagen haben. Keine von den bürgerlichen Parteien macht konkrete Vorschläge, wie so ein Ordnungsrahmen denn aussehen könnte. Ich habe alle Parteien angeschrieben und gefragt, was sie konkret unternehmen wollen, damit sich so eine Bankenkrise nicht wiederholen kann. Und ich werde die Partei wählen, die mir darauf eine schlüssige Antwort gibt. Bisher blieb eine Antwort aus.