Predigt vom 30. Dezember 2001 von Mathias Bonhoeffer
Friede sei mit euch von dem, der da war, und dem, der da ist, und dem, der da kommen wird.
Ich möchte Sie heute mit zwei Texten aus zwei Jahrtausenden bekannt machen. Der erste stammt vom Apostel Paulus. Er ist im Gefängnis von Ephesus um die Jahre 54 oder 55 nach Christus entstanden und ist an die Gemeinde zu Philippi gerichtet.
Der zweite stammt von Dietrich Bonhoeffer. Er ist im Gestapogefängnis in der Prinz Albrecht Strasse am 19. Dezember 1944 entstanden und ist an seine Verlobte Maria von Wedemeyer gerichtet.
Beide Briefe sind Gefängnisbriefe
Beide Briefe sind Dankesbriefe.
Zunächst Paulus
Phil. 4,10-13
"Ich bin aber hoch erfreut in dem Herrn, dass ihr wieder eifrig geworden seid, für mich zu sorgen; ihr ward zwar immer darauf bedacht, aber die Zeit hat’s nicht zugelassen.
Ich sage das nicht, weil ich Mangel leide; denn ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie es mir auch geht.
Ich kann niedrig sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides Überfluss haben und Mangel leiden;
Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.
Doch ihr habt wohl daran getan, dass ihr euch meiner Bedrängnis angenommen habt. Denn ihr Philipper wisst, dass am Anfang meiner Predigt des Evangeliums, als ich auszog aus Mazedonien, keine Gemeinde mit mir Gemeinschaft gehabt hat im Geben und im Nehmen als ihr allein.
Denn auch nach Thessalonisch habt ihr mir etwas gesandt für meinen Bedarf, einmal und dann noch einmal.
Nicht, dass ich das Geschenk suche, sondern ich suche die Frucht, damit sie euch reichlich angerechnet wird. Ich aber habe alles erhalten und habe Überfluss. Ich habe in Fülle, nachdem ich durch Epaphroditus empfangen habe, was von euch gekommen ist; ein lieblicher Geruch, ein angenehmes Opfer, Gott gefällig. Mein Gott wird all eurem Mangel abhelfen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus. Gott aber, unserem Vater, sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen."
Da gibt es also eine Gemeinde, hoch im Norden von Griechenland, die für ihren Apostel sorgt. Sie schaffte es nicht immer, weil es die Zeit oder die Umstände nicht zuließen, aber sie schafft es immer rechtzeitig.
Diese Gemeinde zu Philippi ist insofern etwas besonderes, weil sie die einzige Gemeinde ist, von der sich der Apostel Paulus beschenken lässt. Ansonsten ist er peinlich darauf bedacht, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Und das nicht mit der Predigt des Evangelium. Paulus möchte sich von den anderen Wanderpredigern deutlich unterscheiden. Die lassen sich nämlich von ihren Zuhörern, denen sie alles Mögliche erzählen, aushalten und leben nicht schlecht dabei. Paulus will das Evangelium verkünden, möchte von Christus Jesus erzählen, und dazu braucht er materielle Unabhängigkeit.
Paulus hat lernen müssen, sich genügen zu lassen, wie es ihm auch geht. Er kann niedrig sein; ihm ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides Überfluss haben und Mangel leiden;
Denn Paulus sitzt im Moment wieder einmal im Gefängnis und dürfte die Gaben auch dorthin bekommen haben. Eines jener im Gefängnis so heiß ersehnten Päckchen.
Überhaupt ist sein Leben nach seiner Bekehrung und der Predigt des Evangeliums alles andere als in ruhigen Bahnen verlaufen.
Er ist fünfmal mit 39 Hieben gegeißelt worden, dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden, hat dreimal Schiffbruch erlitten. Das Reisen war damals alles andere als eine Freude, mehr eine Tortour, denn die Entfernungen mussten größtenteils zu Fuß durch unbekanntes Gebiet überwunden werden. (2 Kor. 11,24ff; Apg 14, Apg 16)
Und doch, durch den, der ihn mächtig, stark macht, durch Gott, kann er alles.
Paulus wird ein weiteres mal verhaftet werden, ihm wird in Rom der Prozess gemacht werden, und er wird den Tod am Kreuz erleiden.
Zu einer anderen Zeit
"Meine liebe Maria!
Ich bin so froh, dass ich dir zu Weihnachten schreiben kann, und durch dich auch die Eltern und Geschwister grüßen und euch danken kann.“
..beginnt Dietrich Bonhoeffer seinen Brief an Maria von Wedemeyer, seine Verlobte.
Seit zweieinhalb Jahren sitzt er im Gefängnis. Zuerst in der Haftanstalt Tegel, später nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler durch General Graf Schenk von Stauffenberg im Gestapogefängnis in der Prinz-Albrecht Strasse. Von diesem und von den anderen misslungenen Attentaten hat Dietrich Bonhoeffer nicht nur gewusst, sondern er hat sie mit vorbereitet und verantwortet.
Sein fester Glaube an den einen Gott, der uns in Jesus seinen Messias, den Christus, gesendet hat, sein Wissen um das bestialische Unrechtsregime mit all seinen schier unglaublichen Gräueltaten, dass die Nazis in Deutschland errichtet haben, seine tiefe Überzeugung, dass der geplanten und begonnenen Ausrottung der Juden, die der Christen folgen würde, hat ihn früh zum Mitwisser und im Jahre 1938 zum Mittäter, zum Attentäter werden lassen. Jetzt im Dezember 1944 weiß er, dass er nur überleben wird, wenn die Alliierten schneller eine Niederlage Deutschlands herbeiführen würden, als die Militärjustiz seinen Prozess. Zwei Briefe im Monat darf er schreiben, und die Gestapo liest mit.
"Meine liebe Maria!
Ich bin so froh, dass ich dir zu Weihnachten schreiben kann, und durch dich auch die Eltern und Geschwister grüßen und euch danken kann. Es werden sehr stille Tage in unseren Häusern sein. Aber ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, je stiller es um mich herum geworden ist, desto deutlicher habe ich die Verbindung mit Euch gespürt. Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du, die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld. Ihr seid mir ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes und unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat. Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: 'zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken', so ist dieses Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsene heute nicht weniger brauchen als die Kinder. Du darfst also nicht denken, ich sei unglücklich. Was heißt denn glücklich oder unglücklich? Es hängt ja so wenig von den Umständen ab, sondern eigentlich nur von dem, was im Menschen vorgeht. Ich bin jeden Tag froh, daß ich Dich, Euch habe und das macht mich glücklich und froh.
Das Äußere ist hier kaum anders als in Tegel, der Tagesablauf derselbe, das Mittagessen wesentlich besser, Frühstück und Abendbrot etwas knapper (genauer gesagt nur ein Drittel dessen, was es in Tegel gab, aber das schönt Bonhoeffer). Ich danke euch für alles, was ihr mir mitgebracht habt. Die Behandlung ist gut und korrekt. Es ist gut geheizt. Nur die Bewegung fehlt mir, so schaffe ich sie mir bei offenem Fenster in der Zelle mit Turnen und Gehen. Einige Bitten: Ich würde gerne von Wilhelm Raabe: Abu Telfan oder Südderump lesen. Könnt ihr meine Unterhosen so konstruieren, daß sie nicht rutschen? Man hat hier keine Hosenträger. Ich bin froh, dass ich rauchen darf! Daß Ihr alle für mich denkt und tut, was Ihr könnt, dafür danke ich euch; das zu wissen ist für mich das wichtigste. Es sind nun fast zwei Jahre, daß wir aufeinander warten, liebste Maria. Werde nicht mutlos! Ich bin froh, daß du bei den Eltern bist. Grüße deine Mutter und das ganze Haus von mir. Hier noch ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen. Sie sind der Weihnachstgruß für Dich und die Eltern und Geschwister:
Von guten Mächten treu und still umgeben
behütet und getröstet wunderbar
so will ich diese Tag mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen
noch drückt uns böser Tage schwere Last
ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen
das Heil, für das du uns bereitet hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch den bittren
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz
dann wollen wir des Vergangenen gedenken
und dann gehört dir unser Leben ganz.
Laß warm uns still die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns bereitet
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar um uns sich weitet
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost was kommen mag
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
Sei mit Eltern und Geschwistern in großer Liebe und Dankbarkeit gegrüßt.
Es umarmt dich
Dein Dietrich."
Die Familie wird nicht mehr zusammengeführt werden. Dietrich Bonhoeffer wird den schweren Kelch, den bittren, austrinken müssen. Er wird nur noch einen kurzen Brief an seine Eltern im Januar 1945 schreiben können, bevor die Verbindung dann endgültig abreißt. Am 5. April wird ein Standgericht Dietrich Bonhoeffer zum Tode durch den Strang verurteilen und am 9. April 1945 wird das Urteil im Konzentrationslager Flossenbürg vollstreckt werden. Ein Urteil, das im übrigen bis vor kurzem noch rechtskräftig war.
Die Gefangenschaft beider, des Apostel Paulus und die Dietrich Bonhoeffers.
Das Gottvertrauen beider jeder auf seine Art:
Paulus mit seinem Glauben, der sich in dem Vertrauen ausdrückt:
Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.
Und Dietrich Bonhoeffer mit seinem Glauben, der sich in dem Vertrauen ausdrückt: Von guten Mächten wunderbar geborgen zu sein, bilden den Spannungsbogen, in dem ich Ihnen und mir wünsche, unseren Glauben an Gott gemeinsam leben zu können. Ich wünsche Ihnen, daß Sie diese guten Mächte um sich wissen. Und das hoffentlich ohne die erniedrigenden und entbehrungsreichen Erfahrungen, die diese beiden Menschen haben machen müssen.
Abends will ich schlafen gehen, vierzehn Engel um mich stehen, zwei zu meinen Häupten, zwei zu meinen Füßen, zwei zu meiner Rechten, zwei zu meiner linken, zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken, zwei, die mich weisen zu Himmels Paradeisen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen in Christus Jesus.