Hans Mörtter
Als du den Preis des Leipziger Studentenrats...
Marius Jung
Student_innenRat, ganz wichtig, ja.
Hans Mörtter
Student_innen (Unterstrich innen).
Marius Jung
Unterstrich innen, ja, natürlich.
Hans Mörtter
Du hast für das Wort Neger in deinem Buchtitel den Negativpreis für Rassismus bekommen. Dann hast du dir deren Fragebogen angesehen. Da steht auch noch Sexismus, und weil du da einen knackigen Körper abgebildet hast mit Geschenkschleife, hast du gesagt, ihr habt noch vergessen, „Sexismus“ anzustreichen. Jetzt hast du also einen Negativpreis für Rassismus und Sexismus von ihnen bekommen.
Marius Jung
Ja, genau. Das Schönste war, dass sie einen Gag aus unserer Pressemitteilung genommen haben und meinten, ich würde mich hier zum Objekt machen. Ich bin froh, dass mir das gesagt wurde, ich würde wahrscheinlich sonst nackt hier sitzen. Das ist das eine, aber zum anderen schrieben sie wirklich – das kann man heute noch im Netz nachlesen: Sie würden zu dem Preis stehen, es ginge ja nicht um den Inhalt des Buches! Wem geht es schon um den Inhalt eines Buches? Das ist auch genau das Riesenproblem mit der Political Correctness, die sich nicht mehr mit den Inhalten auseinandersetzt und in Diskussionen über die Form stecken bleibt.
Hans Mörtter
Ich würde gerne die Begründung der Preisverleihung vorlesen: „Hierbei sollte im Sinne und Aufgabenbereich des Referates für Gleichstellung und Lebensweisenpolitik gezielt die Sichtbarmachung und das Empowerment von marginalisierten Meinungen und Empfindungen gefördert werden, welche im Vergleich zur vorherrschenden, patriarchalisch geprägten Mehrheitsgesellschaft oftmals ungehört bleiben oder gänzlich verdrängt werden.“ Ein langer, langer Satz, man muss also kräftig hinhören, aber eindeutig bist du dir wahrscheinlich nicht bewusst, dass du marginalisierte Empfindungen hast und das Empowerment von bleichgesichtigen Studenten_innen (Unterstrich innen) in Leipzig nötig hast.
Marius Jung
Absolut, das ist sehr, sehr schön, dass man uns so herrlich zum Opfer macht und wir als Schwarze ja offensichtlich auch zu blöd sind, um solche Sachen selber zu verstehen. Im gleichen Text steht, dass durch das Wort Neger auf meinem Cover schwarze Menschen getriggert werden könnten. Triggern – für die, die das nicht kennen – ist ein Begriff aus der Psychologie, der tatsächlich geprägt wurde für traumatisierte Menschen, die getriggert werden können, durch irgendetwas, was sie an dieses Trauma erinnert. Diesen Begriff haben die sich zu eigen gemacht, um zu sagen, dass mein „Negerfreunde“ hier dazu führen könnten, dass schwarze Menschen getriggert werden. Übrigens ist dieser Student_innenRat eine Vereinigung, in der kein einziger Schwarzer bzw. keine einzige Schwarze mitmacht. Die haben dann auch einen offenen Brief bekommen von einem Schwarzen, der sie als Rassistinnen bezeichnet, weil sie hingehen und einfach davon ausgehen, dass Schwarze erstens Satire nicht erkennen können – was sie selbst offensichtlich nicht können –, und zweitens, dass diese weißen Frauen dem Schwarzen sagen, wann er verletzt zu sein hat und wann nicht.
Hans Mörtter
Wir hatten drüber geredet, wie nahe das dem Fundamentalismus kommt. Fundamentalisten, das hatte ich mal einem Kind erklärt, sind Menschen, die nicht lachen können, die keinen Humor haben. Und genau das ist ja im Grunde deine Waffe, deine Art, wie du in unsere Gesellschaft reingehst: mit Humor, also mit der Satire, mit der Ironie, aber auch mit dem Lachen.
Marius Jung
Lachen öffnet die Herzen, das ist schon mal Punkt Nummer eins, und wer das Herz öffnet, wird plötzlich über Dinge nachdenken oder auch herzlich lachen können. Ich glaube, dass es kein Thema gibt, über das man keine Witze machen darf, aus dem ganz einfachen Grunde: Erst wenn wir auch humoristisch an ein Thema herangehen, haben wir eine Aufsicht auf das Thema. Wenn wir in dem Schmerz eines Themas hängen, können wir nicht über das Thema lachen. Aber dann hinzugehen und zu sagen, deswegen darf darüber kein Witz gemacht werden – ob das nun Tod, Krankheit, Ethnie, was auch immer ist – halte ich für absolut falsch. Wer zu mir kommt und sagt, darüber darf man keine Witze machen, dann sage ich ganz klar, wenn es zum Beispiel um Religion geht: Wenn du darüber nicht lachen kannst, ist es das eine, aber wenn du damit nicht umgehen kannst, dann würde ich meinen Glauben und das alles mal überprüfen. Denn wenn ich es nicht aushalten kann, dass jemand einen Witz darüber macht, dann habe ich offensichtlich ja ein größeres Problem. Meinetwegen können die Leute Witze über mich und meine Hautfarbe machen, wie sie wollen, da ist nichts, was ich zu verbergen hätte oder wofür es mir peinlich ist oder Ähnliches, sondern ich stehe zu all dem. Also bitte, du bist eingeladen, darüber Witze zu machen, dann lass uns gemeinsam darüber lachen. In dem Moment, wo wir gemeinsam darüber lachen, dann haben wir schon einen ersten Schritt getan, um uns anzunähern.
Hans Mörtter
Ja, klar. Oder ich stocke plötzlich und denke, oh, oh!
Marius Jung
Das ist mein schönster Punkt, was das Buch angeht: Ich hab sehr viele überraschende Briefe bekommen und vor allen Dingen auch ganz viele von weißen Menschen, die zugaben: „Das wusste ich nicht, ich wusste nicht, dass das weh tut.“, oder „Ich wusste nicht, dass das auch vielleicht ein negativer Punkt sein könnte.“ Natürlich, man macht viele Sachen ohne nachzudenken, das ist Arglosigkeit. Wenn wir drüber reden und lachen können, kommt man sich schnell näher und läuft nicht Gefahr, in diese fundamentalistische Humorlosigkeit zu rutschen. Die übrigens auch dazu führt, dass Menschen aus der Political-Correctness-Bewegung oder auch die jungen Damen aus Leipzig mit den Moralwächtern der 50er-Jahre, also ganz furchtbar reaktionären Menschen, absolut einhergehen. Das Titellied aus den Pippi-Langstrumpf-Filmen wurde ganz am Anfang gespielt. - Das ist eines meiner absoluten Lieblingskinderbücher. Pippi Langstrumpf sollte in den 50er-Jahren verboten werden – weil da werden Kinder zum Kaffeetrinken animiert werden. In Schweden werden die ersten Pippi-Langstrumpf-Filme umgeschnitten. Es werden Szenen herausgeschnitten. Zum Beispiel gibt es eine Szene, wo Pippi den Chinesen imitiert. Das soll raus, weil das ja so hoch rassistisch sei. Was für ein Unsinn! Ich meine, Pippi Langstrumpf, wir reden hier eben wirklich von einem Freigeist, wir reden hier genau von einem Menschen …
Hans Mörtter
… einer Revolutionärin...
Marius Jung
… einer kleinen Revolutionärin, die auch mal respektlos ist, aber eben in einer liebevollen, erfrischenden Art, und dadurch ein paar Dinge wirklich mal infrage stellt. Das nenne ich ein gutes Vorbild für Kinder.
Hans Mörtter
Also wenn das geändert wird, dann wird’s ja richtig fade.
Marius Jung
Dem ist so, ja, natürlich. Es gibt abgeschwächte Versionen von Grimms Märchen. Ich bin ja selber Papa. Ich lese meiner Tochter viel aus der Orginalversion von den Märchen vor und bin selber erstaunt, wie brutal die Geschichten sind. Aber Kinder haben eine viel stärkere und reinere Kraft, eine Geschichte als Fantasie anzusehen und eine Geschichte nicht zur Realität zu machen. Ich habe mich auf der Bühne oft über die Brutalität im „Struwwelpeter“ lustig gemacht. Darin steht die Geschichte von dem Nikolaus, der die weißen Jungs bestraft, weil sie den Mohren necken oder mobben, wie man heute sagen würde. Die werden dadurch bestraft, dass sie in Tinte getaucht werden. Das ist in sich völlig absurd, dass jemand bestraft wird dadurch, dass er schwarz gemacht wird. Aber auf der anderen Seite, ist ein solcher ein Ansatz in einem Buch von 1845 revolutionär. Aber Kinder denken nicht historisch, Political-Correctness-Leute übrigens leider auch nicht. Das ist wie in „1984“ (1948 von George Orwell geschrieben), wo die Vergangenheit umgeschrieben und an die Gegenwart angepasst wird.
Hans Mörtter
Ich möchte noch mal auf deine Kindheit zurückkommen. Du hast das Glück gehabt, eine fantastische Mutter und einen fantastischen Vater zu haben, die dich aufgezogen haben, die dich begleitet haben, einen Vater, der zu dir gestanden hat. Auch wenn die Leute blöd guckten: Eh, wieso, weißer Vater und dunkelhäutiges Kind, wie geht das denn? Du erinnerst dich noch daran, dass du von deiner Mutter nach drei Tagen aus dem Kindergarten herausgeholt wurdest. Deine Mutter wollte dich schützen, weil du nämlich massivst gemobbt wurdest bzw. ziemlich fies behandelt wurdest. Als einziger Farbklecks in dieser Trierer … Wart ihr da noch in Trier?
Marius Jung
Das war in Mainz.
Hans Mörtter
Mainz, und dann seid ihr ins Siebengebirge gezogen. Da hatten wir ja kurz drüber geredet, die Erziehung und die Prägung eines Kindes beginnt im Mutterleib schon ganz wesentlich, und nach den ersten zwei Jahren ist es eigentlich gelaufen. Dann muss man schauen,wie man es vielleicht wieder gerade kriegt, wie man sich selbst findet durch den ganzen Schutt, der auf einem Kind abgeladen worden ist. Also normalerweise gibt es jetzt besorgte Menschen, die sagen, eh, Marius, hast du schon mal ne Traumatherapie gemacht? Musst mal ein bisschen deine Kindheit aufarbeiten. Also was dich da heute bremst oder was dich fremdbestimmt, dass du über dich selbst lachen kannst heute.
Marius Jung
Ja, tatsächlich habe ich zu dem Thema ein Therapie gemacht. Ich bin ich froh, das getan zu haben. Der tatsächliche therapeutische Punkt war dann für mich, mich mit meinem tatsächlichen Vater auseinanderzusetzen, der nicht mehr als Samenspender war, aber …
Hans Mörtter
Du bist ihm begegnet, du hast ihn gesucht.
Marius Jung
Genau, ich hab ihn gesucht und bin ihm begegnet, und das hat für mich künstlerisch alles geändert. Ich konnte plötzlich darüber sprechen, weil ich Abstand und dadurch eine Aufsicht gewinnen konnte. Nur damit zu leben, dass da irgendwo ein schwarzer Vater in den USA ist, das reichte eben nicht. Ich musste ihn einmal treffen. Das hab ich getan, und damit ist es auch gut. Dieses Buch war für mich so ein bisschen der Abschluss dieses Kapitels. Jetzt kann ich dadurch auf politischen Veranstaltungen viel besser gegen Rassismus vorgehen, weil ich erst mal mein eigenes Problem mit meiner Hautfarbe behandelt habe.
Hans Mörtter
Du bist deinem biologischen Vater also begegnet. Dann hat sich für dich geklärt: Ich bin ich. Ich hab einen Vater und eine Mutter, die sind in Deutschland.
Marius Jung
Genau. Das sind die Menschen, die mich geprägt haben, das sind die Menschen, die für mich da waren. Das ist der Punkt. Letztendlich geht es um Respekt und Liebe, und ein Kind zu verlassen, ist nicht respektvoll und auch nicht liebevoll. Mein sozialer Vater, den ich als meinen Vater ansehe, hat sehr viel für mich aufgeben müssen. Er war für die SPD in Trier aufgestellt. Er musste sich zurückziehen, weil das mit einem Bastardkind in den 60er-Jahren nicht tragfähig war. Wir mussten aus der Stadt wegziehen. Mein Vater hat trotzdem die Familie zusammengehalten. Das ist für mich Respekt und Liebe …
Hans Mörtter
… und Treue auch, Treue, Loyalität.
Marius Jung
Ja, natürlich. Aber ich glaube, Liebe und Respekt in Kombination führt automatisch dann auch zur Treue.
Hans Mörtter
Da sind wir eigentlich an diesem wesentlichen Punkt: Du hast vieles, was in deiner Kindheit passiert ist, vergessen. Ich will diese schrägen Blicke nicht, ich sehe die gar nicht, die pack ich in eine Kiste ganz tief unten im Keller, die sind weg. Was dich in dieser Zeit stark gemacht hat, war die Liebe deiner Eltern. Du hattest ein Zuhause.
Marius Jung
Genau, ich hatte ein Zuhause. Ich hatte natürlich auch gleichzeitig ein Zuhause, das auch durch die Zeit bedingt sehr stark tabubelastet war, weil das bei uns nicht thematisiert wurde. Das war auch der Grund, warum das bei mir dazu führte, dass ich diese enge Beziehung zu Lukas aufbaute. Ich hab tatsächlich den Menschen erzählt, mein Opa sei Lokomotivführer gewesen, und der sei schwarz gewesen, und meine Eltern seien beide weiß, weil das ein Generationssprung sei – was es tatsächlich gibt. Es gibt genau diesen Generationssprung, will heißen, ein weißer Elternteil und ein schwarzer Elternteil können ein weißes Kind bekommen und danach zwei weiße Elternteile plötzlich ein schwarzes Kind. Diese Geschichte habe ich mir dann zu eigen gemacht. Diese Geschichte habe ich auch lange Zeit tatsächlich geglaubt. Das zeigt, wie stark Vorstellungskraft sein kann.
Hans Mörtter
Ich meine, das beschreibst du sehr schön, wie heilsam und beschützend die Vorstellungskraft durch Literatur, durch Geschichten sein kann, weil dein familiärer Opa ein Nazi gewesen ist.
Marius Jung
Absolut, ja, der war SS-Mann, was im Grunde eine Geschichte wert ist. Ist schon verfilmt worden tatsächlich, weil der Autor von dem Film „Heimat“, wer ihn noch kennt, das ist ein Sandkastenfreund von meiner Mutter, und da findet tatsächlich mein Naziopa statt. Das ist dieser schlimme SS-Mann, der aber die Juden im Dorf rettet.
Hans Mörtter
Hast du ihn noch erlebt?
Marius Jung
Nee, wenn der mich erlebt hätte, der wäre sowieso sofort tot umgefallen. Es war für ihn schon schlimm genug, dass seine Tochter einen SPD-Mann heiratete, das war für ihn schon im Grunde fast …
Hans Mörtter
… Verrat.
Marius Jung
Ja, auch einem Todesurteil gleich, der ist daran schon fast verreckt. Aber wenn er noch mitbekommen hätte, dass seine Tochter dann noch was mit nem Schwarzen anfängt und mit dem auch noch ein Kind zeugt, das wäre zu viel gewesen. Aber seine Frau, also meine Oma, die kam damit sehr gut klar. Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihr.
Hans Mörtter
Super, superschön. Einfach so als Strich darunter noch mal: Wie wichtig ist es, auch hier bei uns im Umfeld zu gucken, wie können wir Kinder stärken, wie können wir ihnen unsere Liebe zeigen. - Jetzt aber noch mal zu Charlie Hebdo: Der Chefredakteur der New York Times heißt Dean Bacquet und ist Afroamerikaner. Es ist das erste Mal seit, glaube ich, 163 Jahren –, dass ein Schwarzer, ein Afroamerikaner diesen Posten bei einer der bedeutendsten Zeitungen der Welt innehat. Er weigert sich, die neuen Karikaturen oder auch die alten von Charlie Hebdo zu veröffentlichen und sagte dazu: Ich mache das nicht aus Feigheit, denn als Journalisten müssen wir regelmäßig auch bereit sein, unser Leben zu riskieren, indem wir über die Wahrheit mutig berichten, ohne Rücksicht auf irgendwen zu nehmen, ohne Rücksicht zu nehmen auf unsere eigene Angst oder was dadurch passieren könnte. Aber die Karikaturen verletzen Menschen, die ich in Manhattan kenne, sagt er. Da leben muslimische, einfache Familien oder Familien, die einen starken religiösen oder starken islamischen Glauben haben, und die Karikaturen würden sie verletzen. Aus Respekt und Achtung vor diesen Familien veröffentlicht die New York Times diese nicht, sie beschreibt sie nur. Wie siehst du das?
Marius Jung
Satire darf alles, das ist überhaupt nicht die Frage. Wenn dieses furchtbare Attentat nicht passiert wäre, seien wir mal ganz ehrlich, ich behaupte, 90 Prozent hier im Saal, und ich gehöre dazu, hätten wahrscheinlich nie etwas von Charlie Hebdo gehört. Deren Auflage liegt jetzt bei rund neun Millionen, aber diese Aufmerksamkeit haben nur die Attentäter geschaffen. Ob das jetzt die New York Times abdruckt oder nicht – wie gesagt, es muss stattfinden dürfen, darum geht es ja. Ob ich das lustig finde oder nicht. Ich habe mir ein paar Karikaturen von Charlie Hebdo angeguckt, zum Teil finde ich die saulustig, zum Teil finde ich sie überhaupt nicht lustig –, sie dürfen auch verletzen, da glaube ich ganz fest dran, denn wenn jemand einen Witz macht und ich damit ein Problem habe, dann muss ich überlegen, welches Problem das ist. Mir hat ein Muslim gesagt: "Was man ganz klar sagen muss, im Koran steht eindeutig, dass Blasphemie niemals, niemals mit weltlicher Strafe belegt werden darf." Will heißen: Im Koran steht nirgendwo, dass irgendjemand irgendwo reinrennen soll und jemand erschießen soll. Die Menschen, die das trotzdem machen, das sind einfach hasserfüllte Menschen, die da Hass- und Angstsamen legen, was sie auch sehr gut schaffen.
Hans Mörtter
Es gibt eine herrschende Klasse, die berühmte „Erste Welt“, das sind Europa und die Vereinigten Staaten. Deren politisches Handeln wird nicht von einem Wertekodex geleitet, sondern von den Märkten und den Aktien, und die sind menschenfeindlich, wie wir inzwischen wissen und erleben. Aber ich denke gerade an Buchforst, da gibt es eine Kulturkirche, die von der GAG betrieben wird. Der Künstler Thomas Baumgärtel sollte da seine Ausstellung zeigen, das war im letzten Herbst, und ich habe diese ganze Auseinandersetzung da mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Bis zwei Tage vor der Ausstellungseröffnung war klar, welche Bilder in dieser Kirche hängen werden und welche Skulpturen usw. Diese Kirche wird aber auch noch gottesdienstlich genutzt. Das heißt, die Gemeinde muss nichts zahlen und hat den Luxus, eben da noch Gottesdienste feiern zu dürfen. Und dann ging es los – ich glaube, das ging gar nicht von der Gemeinde aus, sondern von der GAG-Geschäftsleitung, die auf einmal gemerkt hat, oh Gott, da feiern Christen ihren Gottesdienst, und das könnte die verletzen, das könnte ein Problem geben. Denn Thomas Baumgärtel hatte seine Reihe „Die gekreuzigte Banane“ auch mit in der Ausstellung – von getrockneten Bananenblättern am Kreuz bis hin zur knallig gelben. Der Thomas hat dann ganz richtig gehandelt: Der hat gesagt: "Tschüss, auf Wiedersehen", und hat die ganzen Bilder und seine ganzen Arbeiten, die perfekt schon hingen, abgehangen und hat gesagt: "Ich lass mich nicht halbieren, ich lass mich nicht reduzieren, ich lass mich nicht bevormunden, ich bin freier Künstler, dann geh ich, das hab ich nicht nötig, diese Billigkeit und diese Angst."
Marius Jung
Das ist genau der Punkt. Das ist eine Entscheidung.
Hans Mörtter
Das christliche Erkennungssymbol, das ist im Grunde angstbehaftet, das darf nicht kritisiert werden. Natürlich passiert das bei uns, na klar, aber dass in einer Stadt so eine Befindlichkeit ist. Aber auf der anderen Seite sind Karikaturen über Muslime oder den Propheten oder Allah kein Problem. Das zeigt, also die, die bei einer gekreuzigten Banane aufschreien, schreien bei den Karikaturen über muslimische Kritik nicht auf.
Marius Jung
Genau. Das ist einmal das Zugeständnis, was sie natürlich der eigenen Religion gegenüber machen. Die Abildung Mohameds zu verneinen macht Muslime aber gleich zu Islamisten. Beides zeigt für mich nur fehlende Aufsicht zur eigenen Religion. Die Unschuldsvermutung ist ja seit 2001 einfach mal aufgehoben. Das ist auch gesetzliche Realität in den Vereinigten Staaten. Das ist der Patriot Act. Wir sind auf einem Weg dahin. Wenn die CSU so dürfte, wie sie wollte, dann wären wir schon lange da. Ich war mit einem muslimischen Kollegen auf Tour, und wir wurden auf jedem Bahnhof, an jedem Flughafen, ständig angehalten und durchsucht. Ich springe schnell aus dem Hemd bei diesem Thema. Ich bin das wirklich satt. Wenn ich alleine bin, geht’s auch, aber wenn jemand muslimisch aussieht, wird er einfach ständig angehalten. So! Punkt! Das heißt, auch die Polizei hat diese Unschuldsvermutung nicht mehr, sondern geht einfach davon aus, dass Muslime und Schwarze verdächtig sind. Eine Schwarze erzählte mir neulich von einer Reise in eine bayrische Stadt. Dort wurde sie sage und schreibe innerhalb einer Stunde fünfmal von der Polizei aufgegriffen.
Hans Mörtter
Schade. Ich glaube, wir könnten lange weiterreden, müssen jetzt aber leider zum Schluss kommen. Dafür habe ich ein Zitat von Nelson Mandela: „Ein intelligenter Kopf und ein gutes Herz sind eine tolle Kombination.“ Das trifft auf dich eindeutig zu.
Marius Jung
Das ist lieb, danke!
Hans Mörtter
Ich danke dir, dass du zu uns gekommen bist.
Marius Jung
Sehr gerne!