Hans Mörtter
Das war jetzt in jeder Hinsicht schön. Vielen Dank für dieses wunderbare Krätzchen, Ludwig und Thomas.
Ludwig Sebus
Vielen herzlichen Dank!
Hans Mörtter
Danke dir, Ludwig, danke euch (die Gottesdienstbesucher*innen haben Ludwig Sebus mit standing ovations bedacht) – das ist – Kölsche Siel, das ist ein Krätzchen, das geht nach. Du stehst für eine Tradition der Krätzchen-Sänger, und die ist fast aussterbend, aber einige gibt es noch.
Ludwig Sebus
Ich fühl mich so – viele der Älteren hier unter uns werden es wissen – noch so ein bisschen in der Tradition von Ostermann, Berbuer, Jupp Schlösser, Jupp Schmitz und August Batzem.
Hans Mörtter
Ja, das ist auch eine Liga, in der du immer genannt wirst.
Ludwig Sebus
Ich war der Jüngste aus dieser Gilde, Karl Berbuer war 25 Jahre älter als ich, aber wir hatten ein freundschaftlich-väterliches Verhältnis, ich habe viel von ihm gelernt. Wir waren diejenigen, die die Musik damals gebracht haben, bis in die 70er-, 80er-Jahre. Dann kamen die Bläck Fööss, die Höhner, Paveier und andere Gruppen, de Räuber, dann nachher Brings und Kasalla jetzt, Cat Ballou, und so geht es immer weiter. Es rollen immer wieder neue Geschmacksrichtungen auf, die alten Lieder werden nicht ganz vergessen, aber sie werden überholt durch neue Lieder, und das ist auch gut so. Aber irgendwie bleibt beim Kölschen immer etwas haften, weil die Stimmung bei ihm ja vielfältig ist, und wenn er ganz lustig ist, singt er ja meistens "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin".
Hans Mörtter
Der Karnevalist Reiner Ostertag hat dich mal so vorgestellt: "Und hier ist Ludwig Sebus, der nach dem Krieg die Nächstenliebe nach Köln brachte.“ Der christliche Glaube, der die Nächstenliebe in den Mittelpunkt rückt, wird von Ludwig Sebus besungen und vorgelebt. Sieht man auch in deinen Advents- und Weihnachtsliedern, die du geschrieben und gesungen hast. Die "Schwazze Madonna in d'r Kofferjass" ganz besonders. Ich glaube, das ist so ein Schlüssel, die Nächstenliebe. Deine Krätzchen handeln genau davon, und das sind die leisen Töne, die auch im Karneval lange Zeit sehr prägend waren, dass die Leute zugehört haben, dass sie nicht gequatscht haben, dass sie nicht einen trinken gegangen sind mittendrin im Vortrag. Die haben zugehört. Welche Chance gibst du den leisen Tönen im Kölner Fastelovend heute?
Ludwig Sebus
Ich bin immer noch der Meinung, ein Lied muss Inhalt haben. Beim Kölschen Krätzchen besinge ich nicht nur die Empfindungen persönlicher Art, sondern auch das historische Köln. Ich habe viele Lieder über die Stadt geschrieben, darunter ist der Ostermann-Brunnen, der Berbuer-Brunnen und ich habe das Martinsviertel besungen. Den Dom natürlich öfters. Aber die leisen Töne an sich, die du eben ansprachst, die waren das, was mir vom Inhalt her am meisten gegeben hat und was natürlich auch von meiner Seite aus in der Erwartung am stärksten aufgenommen wird. Es sind Lieder, die auch in hundert Jahren nicht oberflächlich sind, sondern die Lieder, die uns vom Inhalt, von der Wesensart, vom ganzen Gefühl her etwas geben. Du siehst es am besten an den Ostermann-Liedern, die ja immer wieder die stärksten sind – "Ich mööch zo Foß noh Kölle jon", oder "Och wat wor dat fröher schön doch en Colonia ". Diese und alle anderen Lieder von Ostermann haben ja einen Inhalt. Auch die von Berbuer, Schmitz und so weiter sind anspruchsvoller und solche haben am meisten Aussicht, sich über die Jahrzehnte hin zu halten.
Hans Mörtter
Glaube ich auch. Du hast gesagt, in deinem Leben gab es mehrere Situationen, wo die Hand Gottes im Spiel war. Das waren Situationen, wo du eigentlich hättest tot sein müssen.
Ludwig Sebus
Es ist im Nachhinein für jemanden einfacher, einen Gottesglauben zu entwickeln, wenn man selbst mal die Hand Gottes gespürt hat. Ich habe im täglichen Vertrauen immer zum Herrgott gebetet, dass er die Hand über mich hält, und das hat er bis heute auch getan. Wenn man spürbar erlebt, dass er einem geholfen hat aus Situationen, die an und für sich nicht erklärbar waren. Ich kann eine einmal kurz anführen: Ich war gerade Soldat, war Funker, musste dann mit dem Funkgerät Stellung beziehen und meine Funksprüche abgeben. Einmal war ich ziemlich dicht an der Front. Die lockerte sich, auf einmal hörte ich Schüsse. Dann sah ich, dass sich unsere Front zurückgezogen hatte, aber die hatten vergessen, mich zu benachrichtigen. Da kam die russische Front in einer massiven Art so auf etwa 300 Meter auf mich zu. Ich kletterte auf einen Weinberg, um dahinter Schutz zu suchen. Ich hatte 40 Pfund zu schleppen mit allen Geräten und den Geheimunterlagen, und musste 250 Meter über einen ansteigenden Weinberg hinweg. Wegen der Geheimhaltung durfte nichts dem Russen in die Hände fallen. Alle russischen Munitionsträger, ob das jetzt Maschinengewehre waren oder Granatwerfer oder Pistolen, alles schoss auf mich ein, zehn Minuten lang, wobei ich mich alle drei, vier Meter auf den Boden werfen musste, weil eine Salve kam, und mir ist nichts passiert. Als einziges Ziel bei dieser ganzen Front, wo alles auf mich geschossen hat, zu erleben, dass mir nichts passiert, in dem Willen "Herrgott, hilf mir, dass ich hier gesund rüber komme", war für mich ein persönliches Wunder. Das sind natürlich Dinge, die mich auch gestärkt haben das ganze Leben über.
Hans Mörtter
In der Gefangenschaft bist du auf der Krim in einem Bergwerk verschüttet worden. Es sind nur zwei gerettet worden, und über 120 Menschen dabei gestorben. Auch ein Wunder. Die Gefangenschaft, das war ja immerhin von, glaube ich, 1944 bis Sommer 1949.
Ludwig Sebus
Bis '50.
Hans Mörtter
Da ist ja die Frage, wie verkraftet man das? Ich kenne eine ganze Menge Menschen aus der Gemeinde, die daran kaputt gegangen oder früh gestorben sind, weil sie entkräftet waren. Du beschreibst das ja selbst. Wie kann man solche eine Situation überleben, also die Erlebnisse des Krieges, und dann so eine lange fürchterliche Gefangenschaft, wo drumherum die Menschen sterben an Hunger oder weil sie es nicht aushalten, depressiv werden und sich umbringen oder an Krankheiten sterben, an Entbehrung, an Auszehrung. Es ist klar, dein Glaube hat dir geholfen, zu überleben.
Ludwig Sebus
Ja, aber in der Richtung ist es natürlich so, wenn man die ganze Gefangenschaft betrachtet, diejenigen, die also einen Glauben hatten, die also christlich erzogen waren, die haben es an und für sich leichter gehabt, wieder nach Hause zu kommen als diejenigen, die gezweifelt haben, die sich irgendwie entfernt hatten und nicht an den Herrgott glaubten.
Hans Mörtter
Aber Ludwig, was ist denn mit den Leuten, die sagen, bei dem, was ich jetzt erlebe, kann es keinen Gott geben?
Ludwig Sebus
Ja. Wie kann der Herrgott das zulassen? - Wie kann er es nicht zulassen? - Wenn man an den Herrgott als allmächtigen Vater glaubt, und zwar in der Form, dass er für den Menschen das Beste will, dann gibt es manchmal Dinge, die kann man nicht erklären. Das weiß man auch nicht zu deuten und da soll man auch gar nicht drum herumreden. In jedem Fall aber, egal, wie schwierig eine Situation im Leben ist, ist es immer besser und für mich gesehen auch einfacher, dem Herrgott irgendwie die Hand hinzuhalten und zu sagen "Führe mich". Ich habe das auch erlebt, wie du das eben sagtest, dass da eine gewisse Sparte von Kriegsgefangenen angesprochen wurde, die als junge Familienväter da waren. Die waren am anfälligsten. Die etwas älteren, so um die 50 herum, waren gestandene Männer, und wir junge, die wir noch nicht verheiratet waren, schafften es, was den Heimatgedanken, den Familiengedanken, den sie ja mitschleppten, einfacher zu verkraften. Diese jungen Männer hatten Familien, sie wussten nicht, wie kommen ihre Frauen zurecht, wie werden die Kinder das alles überleben, bleiben die Frauen ihnen treu, bleiben sie auch dann noch irgendwie ihre Ehefrauen, wenn sie nach Hause kommen sollten? In all diesem Bewusstsein der Unwägbarkeiten gab es eine Unsicherheit, und die Unsicherheit war auch teilweise so groß, dass sie seelisch krank wurden zu all den anderen körperlichen Gebrechen, die auch so eine Gefangenschaft mitbrachte, und dadurch war diese Gruppe die anfälligste.
Hans Mörtter
Ich mache jetzt einen Sprung, weil langsam die Zeit davon läuft. Es gibt einen Wahlspruch, der dir zugeschrieben wird: „Wat von Häzz kütt, geht auch zu Häzz“. Das ist ein Wahlspruch, der alle Religionen und Weltanschauungen überspannt. Das bedeutet diese Grundhaltung, was von Herzen kommt, geht auch zu Herzen, für die heutige Politik in deinen Augen?
Ludwig Sebus
Man geht viel zu viel nach dem Volk. Was will das Volk im Moment, was macht ihnen das Leben einfacher, wo kann man irgendwie Nischen suchen, wo man denen entgegenkommt, um irgendwie Wählerstimmen zu finden. Ich bin der Meinung, dass der Politiker viel zu wenig versteht, dass er gewählt ist von Menschen, die von ihm eine klare Haltung erwarten über Fraktionszwang hinaus, nämlich seinem Gewissen folgend, und dass er vor allen Dingen die Meinung vertritt, die allgemein im christlichen Sinne unser Leben bedeutet. Denn ich bin der Auffassung, all die Dinge lassen sich besser regeln, wenn man als Christ im Grundgebot der Liebe lebt, was uns der Herrgott gegeben hat. Wenn man da alles ein bisschen noch einordnet, dann, glaube ich, ist auch der Politiker am allerbesten bedient, egal, welcher Partei er zugehörig ist und auch zu welcher Couleur er sonst gehört und welcher Konfession er dient. Aber wichtig ist, dass er nach seinem Gewissen handelt. Ich vermisse in der Großzahl heutzutage das politische Gewissen. (Applaus)
Hans Mörtter
Auch in die Politik gehört das Herz und die Freiheit. Im Grunde bist du da ein Sozialrevolutionär à la Jesus. Können wir so sagen. [lachen] Die letzte Frage, die dann wirklich auch was mit dem Letzten zu tun hat: Du wirst in diesem Jahr 92. Ich kenne den Karl Zieseniß (ehemaliger Verwaltungsdirektor der Städtischen Bühnen), der früher die Oper gebaut hat in den 50er-Jahren, den Riphahn-Bau und anderes, wo noch alles geklappt hat. Der ist 103 und gut drauf. Also ich traue dir den 105. Geburtstag auch zu und wünsche mir den auch für uns, weil du innerlich so jung und fröhlich bist. Du hast eine ganz starke Seele. Aber klar ist trotzdem, dass die Zeit abläuft. Irgendwann määhst du dich op die Reis und spannst die Flügelchen aus. Hast du Angst vor dem Tod?
Ludwig Sebus
Nein. Vor dem Tod habe ich keine Angst. Ich möchte bloß nicht gern in ein Siechtum verfallen, wo einem das Sterben sehr schwer wird. Aber vor dem Tod habe ich überhaupt keine Angst, und da sehe ich auch hier meine Freunde, die fast genauso alt sind, wie hier der Ferdi Bongart oder auch der Dieter Beyer allemale ja –
Hans Mörtter
- der 85 gerade geworden ist -
Ludwig Sebus
- die alle dieselbe Auffassung haben. Ich bin ein positiver Mensch. Ich sehe jeden Tag als Gottesgeschenk. Das kann man natürlich, wenn man älter ist wie ich, besser machen, als wenn man sich noch im Arbeitsprozess befindet. Aber ich sehe jeden Tag als Gottesgeschenk, und ich sehe in jeder Begegnung, auch am heutigen Morgen mit all diesen netten sympathischen Menschen, immer wieder etwas Positives, ein Geschenk, das mir der Herrgott macht, mit diesen Menschen hier zusammen zu sein. (Applaus)
Hans Mörtter
So is et. Das habe ich inzwischen nach all diesen Jahrzehnten, die ich mit dem Tod und dem Sterben zu tun habe, begriffen: Der Tod ist wie ein Gentleman, wie ein guter Freund. Der ist charmant. Früher hat man das Bild vermittelt, der kommt und nimmt dich weg, reißt dich mitten aus dem Leben. Das stimmt nicht. Der Tod klopft an und sagt: Hallo, es ist soweit, stell dich ein. Hast du den Koffer gepackt? Was musst du denn noch packen? Ist noch was zu klären, musst du dich noch verabschieden? Kümmere dich drum, nicht erst morgen, jetzt. Irgendwann merkst du dann, alles klar: Kannst kommen! Komm herein! Komm, gib mir deine Hand. Dann nimmt der Sterbende die Hand des Boten, und nicht umgekehrt. Nicht der Bote, der da kommt, den es wahrhaftig gibt, es ist unglaublich, der nimmt einen nicht weg und sagt, so jetzt nehme ich aber deine Hand, und jetzt gehst du, ob du willst oder nicht. Nein. Das ist, „ich will und ich nehme die Hand dieses Boten“ und sage, ich nehme mir die Freiheit, deine Hand zu nehmen, und jetzt jonn mer los.
Ludwig Sebus
Ich möchte dazu noch Folgendes sagen: Wenn der Tod kommen sollte – wir sind ja sowieso als Christen gut dran. Wir haben ja den lebendigen Glauben, dass es weitergeht. Ich bin heute wirklich darauf gespannt, wie das alles sein wird, wo ich jetzt nach dem Tod dran glaube.
Hans Mörtter
Mach dann für uns klar, dass wir im Lotto gewinnen, damit wir all unsere Projekte finanzieren können. [Lachen] Aber das macht vielleicht den Christenmenschen auch aus, wenn er die Wurzeln des Glaubens wieder entdeckt. Es ist die Freiheit des Christenmenschen und das heißt: Ich habe keine Angst vor dem Tod, und keiner kann mir damit Angst machen. Dann kannst du dich auch im Faschismus frei bewegen und sagen, hier sind unsere katholischen Fähnchen, und hier stonn mer. Dann würde ich sagen, kommen wir zum Schluss – es gibt noch so vieles, was ich fragen wollte. Es war herrlich, Ludwig. Wir müssen das mal einen ganz langen Abend machen. Peter Brings hat mal was total Schönes zu dir gesagt: "Wenn Musiker wie Wein sind, dann, Ludwig, bist du der beste Jahrgang aller Zeiten" [Lachen, Applaus].
Ludwig Sebus
Das ist natürlich stark übertrieben.
Hans Mörtter
Ich finde, der Peter hat irgendwie recht. Danke, dass es dich gibt, danke dem lieben Herrgott, dass er dich so gemacht hat.
Ludwig Sebus
Ich darf mich gerade noch mit drei kölschen Zitaten verabschieden. Das erste lautet also: Der Herrgott hat uns das Gesicht geschenkt, aber laache müsse mer selber. Das zweite lautet: Wenn ma nit dat hät, wat man jähn hät, dann muss man dat jähn han, wat man hät. Das Dritte ist, das betrifft aber nur die Männer hier, das heißt auf Kölsch so schön: Och de schönste Frau es an de Föß am Eng.
Redigiert von Helga Fitzner