Hans Mörtter
Wenn wir hier an der Lutherkirche mit den zur Verfügung stehenden Kirchensteuermitteln arbeiten müssten und der Entsolidarisierung, die in der Gesellschaft nun einfach mal stattfindet, dann könnten wir hier dichtmachen. Wir haben mit dem Südstadt Leben e. V. einen kulturellen Förderverein gegründet, mit dem wir unser Kulturprogramm mit finanzieren.
Jürgen Roters
Es ist gut und richtig, sich selbst zu fragen, ob man bereit ist, auch einen Beitrag zu leisten und nicht immer zu sagen: wir haben ja ein Stadtsäckel, das ist irgendwie gefüllt, mit Steuern, mit der Gewerbesteuer, mit Zuschüssen und Zuwendungen von Land und Bund, und da nehmen wir mal immer was raus. Irgendwann ist das leer und dann geht es nicht mehr, und dann müsste eigentlich jede/r einzelne sagen: Dann tue ich auch ein Stück dazu.
Hans Mörtter
Ich vermisse es ehrlich gesagt auch, die Solidarität miteinander und die Bereitschaft zu kämpfen, sich einzusetzen, sich selber einzubringen. Das fehlt so ein Stück weit. Was machen wir falsch? Wie kriegen wir, ich sage jetzt einfach mal, den Arsch huh?
Jürgen Roters
Ich war in meiner Zeit als Regierungspräsident ziemlich viel in der Region unterwegs, ob in der Eifel, im Bergischen Land, in den kleineren Ortschaften. Dabei ist mir schon aufgefallen, wie stark da ein freiwilliges und bürgerschaftliches Engagement ist. Die Nachbarschaft hält zusammen und es wird vieles gemeinschaftlich gemacht, wenn da irgendwie ein neues Gemeindehaus oder ein Sportheim errichtet werden soll, dann helfen viele mit. In der Großstadt scheint das alles viel anonymer und individualisierter. Ich muss aber feststellen, auch hier in Köln haben wir ein breites Netz, eine Vielzahl von kleinen Booten sozusagen, wo Menschen sich engagieren, wo sie mitwirken und sich einbringen. Wir haben drei Freiwilligen-Agenturen bei uns, die Menschen vermitteln, die sich einsetzen wollen für bestimmte Zeit, zu bestimmten Tages- oder auch Wochenzeiten. Da findet man schon eine ganze Menge von jungen Leuten, die sich mit älteren und einsamen Menschen beschäftigen. Dann gibt es Ältere, die sich mit Jüngeren beschäftigen, Vorlesen in Schulen, in Grundschulen, in Kindergärten. Nach Berechnungen gibt es fast 200.000 Menschen, die sich in irgendeiner Form engagieren, ob das im Sportverein ist, ob das bei einer Kulturinitiative, ob das in ganz konkretem sozialen Umfeld wie in der Nachbarschaftshilfe ist.
Die andere Seite ist in der Tat das, was du beschrieben hast, die Menschen, die sich so ein bisschen zurücklehnen, auf der Tribüne sitzen und sagen, was alles nicht in Ordnung ist, da herummeckern oder nur ihre eigenen Interessen umsetzen wollen. Die gibt es auch. Wir brauchen mehr Fürsprecher in unserer Gesellschaft, die diesen Egoismus mal ein bisschen zurückdrängen und deutlich machen, dass es so nicht geht und dass es da auch eine Solidarität gibt. Ein Beispiel: Im Tanzbrunnen finden in den Sommermonaten regelmäßig Veranstaltungen statt. Auf der anderen Rheinseite wohnt ein ehemaliger Richter. Das dauert gerade mal bis 22.01 Uhr, da ruft der schon bei der Polizei an, um darauf hinzuweisen, dass man die Erlaubnis schon wieder um eine Minute überschritten hat. Das sind Menschen, die nur an sich selbst denken, Lebensfreude anderer für überflüssig halten und mit einem Rigorismus vorgehen, der meines Erachtens so nicht akzeptabel ist. So etwas wollen wir nicht. Wir wollen aber natürlich auch Rücksichtnahme auf das Schlafbedürfnis von Menschen, Rücksichtnahme darauf, dass man jetzt sein eigenes Leben nicht voll ausleben kann. Deshalb finde ich auch, das die jungen Leute am Brüsseler Platz Rücksicht auf die Anwohner*innen nehmen, die schlafen wollen und sich gegen 23 Uhr mal langsam zurückziehen sollten.
Hans Mörtter
Köln ist die südlichste Stadt Deutschlands.
Jürgen Roters
Das ist so dieses Gefühl, sich nicht immer in seine vier Wände zurückzuziehen, sondern mehr nach draußen zu gehen. Das ist im sozialen Zusammenhang meines Erachtens ganz, ganz wichtig. Es ist eine Frage der Rücksichtnahme, wie man das auslebt. Wenn jemand in der Nähe einer Gaststätte wohnt, die bis ein Uhr offen und draußen auch noch einen Biergarten hat, da dröhnt es, dann kommen die Leute mit dem Auto angefahren und schlagen die Türen zu, und wenn sie wegfahren, dann wird noch lange laut und miteinander diskutiert und gesungen oder sonst irgendwas – das ist natürlich belastend für die Anwohner*innen. Also von daher: gegenseitige Rücksichtnahme. Diejenigen, die noch zusammen feiern wollen, sollten ein bisschen mehr Toleranz üben.
Hans Mörtter
Für einen Politiker bist du schon ein bisschen ungewöhnlich, denn du setzt dich nämlich über Schablonendenken und Tabus hinweg. Von Anfang an bist du Schirmherr des „Come Together Cups“ – ich glaube, da haben wir uns auch zum ersten Mal getroffen, im Kölner schwul-lesbischen Fußballturnier mit Andreas Stiene –, und Schirmherr bist du nicht nur mit deinem Namen. Du bist immer den ganzen Tag da, und das auch aktiv als Schiedsrichter. Du hast von Anbeginn an mit Rolf Emmerich zusammengearbeitet, dem Vorsitzenden des Sommerblut-Festivalvereins, der multipolaren Kultur mit mutigen Grenzüberschreitungen und Begegnungseröffnungen. Das ist ja schon beeindruckend, was da gewachsen ist in unserer Stadt jedes Jahr im Mai. Wieso machst du das?
Jürgen Roters
Eine Gesellschaft, die sich weiterentwickelt, braucht neue Herausforderungen und neue Perspektiven. Zu meiner Zeit als Kölner Polizeipräsident hatten wir innerhalb der Polizei Vorbehalte gegenüber Schwulen und Lesben. Hier in Köln, zum Beispiel im Umfeld des Aachener Weihers, kam es öfters zu Gewalt gegen Schwule. Die trauten sich aber nicht, zur Polizei zu gehen, weil sie Angst hatten, sich outen zu müssen oder noch mal in besonderer Weise abgestraft oder lächerlich gemacht zu werden. An dem Punkt habe ich gesagt: wir brauchen einen anderen Umgang mit Menschen, die sexuell anders orientiert sind und die natürlich, wie jeder andere, das Recht haben, ihr Leben zu gestalten. Dann kam eine Anfrage von Rolf Emmerich und Andreas Stiene vom schwul-lesbischen „Come Together Cup“, ob ich es gutheißen würde, wenn eine Polizeimannschaft dort beim Fußballspielen mitmachte. Sie wollten, dass ich Kontakte herstellte, um Dialoge zu ermöglichen und dass ich die Schirmherrschaft übernehme. Das war zu Anfang nicht so ganz einfach, aber nachdem der „Come Together Cup“ mit einer relativ kleinen Zahl angefangen hat, zählt er heute 15.000 Besucher. Beim ersten Mal vor zwölf Jahren, glaube ich, da trauten sich manche Schwule nicht so richtig da hin, heute ist es selbstverständlich, bunt gemischt, keiner fragt danach, welche Orientierung man hat. Das sind konstruktive Initiativen, die von Bürgerinnen und Bürgern eingeleitet werden.
Hans Mörtter
Da haben wir 1994 auch hier in der Lutherkirche deutliche Zeichen gesetzt. Ich habe ein homosexuelles Paar getraut. Das wurde zwar fortan verboten. Aber jetzt dürfen solche Paare wenigstens gesegnet werden.
Jürgen Roters
Ich finde das gut und richtig. Manchmal muss man in der Tat Tabus brechen. Zur Zeit ist es das Thema Prostitution, das da weggedrückt wird. Wir haben mal versucht, auch im Rahmen des Sommerblut-Festivals, eine Eröffnungsveranstaltung im Großbordell Pascha zu machen …
Hans Mörtter
In der Nightbar, nicht wahr?
Jürgen Roters
Ja. Da haben wir massiven Widerstand von feministischen Gruppierungen bekommen, die das ablehnten, weil wir hier angeblich Sexsklavinnen hofieren wollten. Dabei ging es nur darum – das war auch das Ziel von Rolf Emmerich – einmal die Arbeitsbedingungen, die Frage des Umgangs miteinander und auch die Frage des Schutzes von Prostituierten zu thematisieren – aber das war schwer. Auch in diesem Jahr scheint es wieder schwierig zu sein.
Hans Mörtter
Nächsten Samstag (19.05.2012) – ich glaube, viele wissen es – wollen wir im Odonien in der Hornstraße gegenüber dem Pascha eine Veranstaltung auch mit Prostituierten zusammen machen, also sie einfach erzählen lassen. Wir reden da miteinander, es gibt tolle Kunst auch dazu. Seit einem halben Jahr machen wir uns da Gedanken, wie wir das machen, und im Augenblick sieht es so aus, dass wir da gewaltig Gegenwind kriegen, nicht nur von Seite bestimmter feministischer Gruppierungen. Die ganze Veranstaltung ist im Augenblick gefährdet.
Jürgen Roters
Wenn ich eins noch sagen darf: Natürlich muss man sehen, dass da Frauen ausgebeutet werden, das muss man auch offen ansprechen. Aber man kann es nicht einfach zur Seite drängen und sagen, irgendwo ist das schon eine Männerwelt, über die wir nicht so richtig sprechen wollen. Ich finde, die Dinge, die mit Prostitution verbunden sind, muss man auch in einer vorurteilsfreien Art und Weise kommunizieren.
Hans Mörtter
Wir müssen in Begegnung gehen und miteinander reden und nicht nur übereinander, das ist das Wesentliche. Deswegen haben wir das auch „Wir sind Menschen“ genannt, dass wir einfach von dem Menschenbild, die Würde des Menschen ist unantastbar, ausgehen. - Ich erinnere mich auch noch an ein anderes Tabuthema, das wir allerdings schon vor rund 15 Jahren, als wir uns kennen lernten, besprochen haben. Da warst du gerade Regierungspräsident geworden und wir standen auf dem Heumarkt am Rande des Christopher Street Day und warteten zusammen auf ein WDR-Interview. Da kamen wir auf das Thema Freigabe von Drogen. Uns war klar, dass wir einen Strick um den Hals bekämen, wenn wir öffentlich darüber reden würden. Wie denkst du heute darüber? Ich beschäftige mich weiterhin damit, aber ich finde es sehr kompliziert. Es ist ein Tabuthema und gleichzeitig ein Thema.
Jürgen Roters
Es gibt Menschen, die derart drogenabhängig sind, dass sie teilweise am Rande der Gesellschaft leben, verarmen, auch gesundheitlich geschädigt sind; und dann gibt es einen organisierten Drogenhandel, der das bewusst ausnutzt. Ich bin nicht für eine völlige Freigabe von Drogen – ob das jetzt Heroin, Kokain oder Marihuana ist. Es gibt auch die noch härteren und sehr abhängig machenden Drogen wie Crack. Ich bin aber dafür, und das war damals eine Grundentscheidung, dass schwerstabhängige Langzeitsüchtige, die sich immer wieder durch Kriminalität Geld beschaffen müssen, um an Drogen zu kommen, aus diesem Sumpf herausgeholt werden müssen. Deshalb setze ich mich für eine legale Vergabe von Heroin an Schwerstabhängige ein. Es gibt in der Schweiz ein entsprechendes Modell, das ich mir damals in Zürich angesehen habe, und zu dem Ergebnis gekommen bin, dass das der richtige Weg ist. Die Bundesregierung hat dann auch zwei, drei Jahre später diese Initiative aufgegriffen. Ich war nicht alleine, es gab auch andere Polizeipräsidenten, die sich dafür eingesetzt haben, dass diese Menschen, die keine Chance mehr in ihrem Leben haben, als sich nur noch über Kriminalität oder Prostitution über Wasser zu halten, mit den entsprechenden Opiaten versehen werden. Es wird auch versucht, ihnen einen Weg zu weisen, wie sie da vielleicht herauskommen. Deswegen sind entsprechende Behandlungsräume eingerichtet worden, hier auch in der Nähe des Bahnhofs, wo man sich dann unter ärztlicher Aufsicht entsprechendes Heroin selbst spritzen kann.
Hans Mörtter
Aber das ist ein sehr überschaubarer Rahmen von Drogenvergabe.
Jürgen Roters
Sehr überschaubar.