Hans Mörtter
Ganz wach, und das ist gut. Es gibt aber auch dann so eine Seite, wo man dann immer wieder überrascht ist, in der Stadt Köln. Ihr habt deftige moralische Prügel vom Kölner Stadt-Anzeiger bezogen, wegen einem Auftritt der Band im Pascha-Nightclub. - Tätä!
Hartmut Priess
Das „Tätä“ kann ich nur zurückgeben, das war bei dir doch genau dasselbe. Du hast auch mit ihnen zusammengearbeitet, und das Lustige an der ganzen Geschichte ist, das genannte Pressehaus arbeitet mit dem Nightclub prächtig zusammen, allein über Annoncen, aber auch gemeinsame Veranstaltungen, und dagegen ist auch gar nichts zu sagen. Dieses Haus ist von der Stadt nicht nur geduldet, sondern erwünscht. Wir waren schon das zweite oder dritte Mal da, ohne dass jemand davon Notiz genommen hat. Der Club ist ein Nachtklub wie jeder andere, das Haus, wo es um die Dinge geht, die heiße Männergespräche hervorrufen, ist auf der anderen Straßenseite, und die Dinge sind streng voneinander getrennt. In dem Nachtklub haben wir beispielsweise mit den Mädels, die dort den Stangentanz vollführen, wunderbar zusammengesessen und erzählt. Die haben ihren Raum in der Garderobe, wo die Postkarten hängen, wo die Bilder ihrer Kinder sind. Es ist ein ganz normaler bürgerlicher Beruf. In der Garderobe hängt – auch von der Stadt Köln - ein Dienstplan, der bestimmt doppelt oder dreifach so groß ist wie dieses Blatt, wo alle Messen der Stadt Köln – ich meine jetzt keine Gottesdienste-Messen, sondern die wirtschaftlichen Messen – genannt sind und wo Anwesenheitspflicht gewünscht ist. Das heißt, es ist ein Teil des Kölner Lebens, des Wirtschaftsbetriebes. Man kann moralisch verschiedener Meinung über die Dinge sein, aber es ist doch ziemlich eigenartig, darüber den Stab zu brechen. In Amsterdam ist das normal. Da gehört zu einem Stadtbesuch auch der Besuch im Rotlichtviertel dazu, der anders als in Köln in das Stadtgeschehen eingebaut ist. Es ist, wenn man sich benimmt, eine Freude, da durchzugehen und zu sehen, wie – ich sträube mich ein bisschen zu sagen – liebevoll das ins Stadtbild eingebaut ist als Teil des Lebens. Wenn ich dann an Köln denke, wo in der Beamtensprache von Verrichtungsboxen gesprochen wird, ja, mein Gott, das ist in allen europäischen Ländern dringend geboten, sich mit dem Thema richtig zu befassen, eine Gesetzgebung zu entwickeln und das zu bekämpfen, was den Frauen angetan wird außerhalb der geregelten kommunalen Verhältnisse. Aber das hat mit dem, was wir erlebt haben, überhaupt nichts zu tun, und den Kampf gegen Mädchenhandel und Prostitution als Folge von Gewalt müssen wir mit anderen Mitteln bekämpfen, und da helfen auch keine Zeitungsartikel, sondern da hilft die Arbeit der Regierungen und der Ordnungskräfte. Aber das Ganze ist wie oft in Köln: Moralische Urteile werden nicht nur hier, sondern auch in anderen Gebieten, wo wir es auch am eigenen Leib gespürt haben, schnell gefällt, oft genug auch über den offiziellen Karneval.
Es gab eine Zeit, wo wir Schwierigkeiten hatten, an die Schulen zu kommen, Anfang der 90er-Jahre, weil Lehrer gesagt haben: Was wollt ihr an der Schule, ihr seid im Karneval tätig, da werden frauenfeindliche Büttenreden gehalten – die ewig Gestrigen sind dran. Wir hatten Schwierigkeiten klarzumachen, dass Karneval ein lebendiges Geschehen ist, das sich immer wandelt. Ich hab vorhin gesagt, wir waren keine Revolutionäre, sondern eher Reformatoren. Viele Dinge sind über die Presse aufgeblasen worden und hatten mit der Realität gar nichts zu tun. Gerade in Zeiten vom Golfkrieg – vielleicht könnt ihr euch erinnern, als der Golfkrieg war 1991, wie der Sitzungskarneval in der Presse dargestellt worden ist. Das Ergebnis war, die großen Gesellschaften durften feiern, die Stunksitzung hat gefeiert, und dem Druck, nicht zu feiern, haben sich gebeugt die Veedelsveranstaltungen und die Gemeinde- oder auf katholischer Seite Pfarrsitzungen, die dann ausgefallen sind. Da ist etwas total auf den Kopf gestellt worden. Ich war damals mit dem Chefredakteur des „Express“ befreundet und hab ihm dann eine Woche vor Weiberfastnacht noch gesagt: Das könnt ihr nicht weitermachen, die Kölschen leben eigentlich für den Karneval. Denkt doch mal bitte an die Nachkriegszeit, wie im Nachkriegskarneval von 1945 bis 1950 Kölsche die ganze Last des Wiederaufbaus ertragen konnten, unter anderem, weil sie gemeinsam gefeiert haben. Vielleicht wisst ihr, dass wir die hervorragenden Lieder, die damals in Köln geschrieben wurden, gesammelt und in Veranstaltungen auf die Bühne gebracht haben. Unter dem Titel „Usjebomb“ haben wir 30 Lieder der Zeit von 1945 bis 1954 bearbeitet, also praktisch vom letzten Schuss, der in Köln gefallen ist im Krieg, bis zum 3:2 von Helmut Rahn in Bern (als Deutschland Fußballweltmeister wurde). Das sind ganz hervorragende Texte, das kann ich jetzt sagen, ohne uns loben zu wollen, weil die von anderen sind – Leute um Karl Berbuer, Jupp Schmitz, Schlösser/Jussenhoven. Keine andere Stadt wäre in der Lage, in Deutschland so gute Lieder in ihrer eigenen Kultur vorzuweisen.
In Köln wurde so was gemacht, ja, und dann heißt es, Karneval ist schlecht, und dann wird wie in den 90er-Jahren das Urteil darüber gefällt. Ihr könnt euch erinnern, dass Betttücher aus den Fenstern gehangen wurden – weiß das noch einer? Wir standen, als wir im April 1991 auf die Bühne gegangen sind, vor der Frage, wie wir darauf eingehen. Das Programm hieß dann „Zwischen Betttuch und Pappnas“, so ungefähr, und das Erste, was wir gemacht haben, als wir auf die Bühne gingen: Wir haben einen „Toten“ auf die Bühne gebracht, einen Nubbel, um damit zu symbolisieren, dass wir ein Programm machen wollen, das sich mit dem Tod und dem Karneval beschäftigt. Die Leute haben das intuitiv gemerkt, und sofort war der Beifall da, weil sie verstanden haben, um was es geht. Es hat sich dann, nachdem die Karnevalszeit bescheiden und originell auf die Straße gebracht wurde, die „Kölnische Rundschau“ entschuldigt. Der Lokalchef Engelbert Greis hat gesagt: Hier haben wir etwas falsch gesehen, das haben wir falsch dargestellt, und Köln hat gezeigt, dass man damit umgehen kann mit dem Gedanken, dass man feiert, aber genau weiß, wie man das macht. Das haben die Zeitungen leider total verfehlt.
Hans Mörtter
Wir müssen zum Schluss kommen, schade, schade, denn da gibt es noch einige Sachen. Zwei Dinge nur noch: Thema Tod, da hatten wir mal kurz darüber geredet. Die Frage, auch das ist dann wieder die große Moral: aktive Sterbehilfe, Sterben in Würde. Das war dir ja ein Anliegen.
Hartmut Priess
Das war, nachdem wir das Gespräch mit den Schülern gehabt haben, weil ich gemerkt hab, dass das hier ein Ort ist, wo man Fragen, die Dinge zum Inhalt haben, die umstritten sind, hier in aller Ruhe ausbreiten kann und besprechen kann. Es gibt so viele Meinungen. Ich bin alles andere als ein Fachmann, aber mit dem Tod haben viele Lieder und viele Dinge im Karneval zu tun. Das hat der Wolfgang Oelsner mal in einem Buch beschrieben, was alles mit dem Thema Schmerz, Tod und Trauer zu tun hat, ohne dass man das merkt. Das ist wie ein Gewürz in einer Speise, und die heilende Kraft dieser Dinge, die angesprochen werden, tun den Menschen gut. Er hat als Beispiel gebracht ein Lied wie „Et Meiers Kättche“ (aka „Ming eetste Fründin) , was im Grunde genommen ein todtrauriges Lied ist, weil es etwas beschreibt, vor dem jeder Angst hat. Das Auseinanderbrechen einer Gemeinschaft, einer Ehe, einer Liebe, einer Freundschaft kann ein ganz schwerer Einschnitt im Leben sein. Aber dann wird es in einem Lied besungen, an dem die Leute Freude haben, und die Wirkungsweise ist, dass die bittere Pille, die zuckrig verarbeitet ist, geschluckt werden kann, und bei der Freude am Singen wird der Schmerz auch verarbeitet. Das ist eine sehr gesunde Wirkungsweise. Ich könnte jetzt noch eine Viertelstunde weiterreden und lauter Lieder nennen, in denen über schwere Dinge im Leben gesprochen wird, aber sie werden in der Freude, im Lachen verarbeitet, ob in Büttenreden oder Symbolen oder in Liedern.
Hans Mörtter
Ja, genau. Zum Schluss die allerletzte Frage: Müsste es heute nicht eine Neuauflage von „Drink doch ene met“ geben in dem Sinne, „mer losse dich nit ertrinke“, was den Tod im Mittelmeer und auf der Flucht angeht.
Hartmut Priess
Ich kenne das noch als ein großes, übergroßes Werbeplakat der Stadt, „Der Kölsche lässt keinen allein“. Eigentlich muss man das singen, wenn einmal etwas in einer Stadt gesagt ist, ist es gültig, und viele Leute in Köln halten sich auch daran. Lieder sind nur Symbole. „Wir lieben unsere Stadt“ ist genauso groß als Werbeplakat jeden Tag zu sehen. Ob die Stadt sich selber liebt, ist eine andere Frage. Ich glaube, es müssen Lieder geschrieben werden darüber, warum die Dinge eventuell nicht ganz so klappen, wie wir uns das wünschen. Wir leben nun mal in der Stadt, wir haben keine andere. Meine Erfahrungen in der Schule, der Gemeinde und in der Stadt sind ein Teil meines Lebens geworden. In der Möglichkeit, das in der Musik auszudrücken, hab ich viele Dinge für mich selber bewältigen können und dann auf eine gewisse Weise auch damit auch meinen Frieden gemacht. Das ist nie ein endgültiger Frieden, aber die Kultur des Zusammenlebens, die bringt so viele Möglichkeiten die Dinge, die hier nicht stimmen, auf eine gewisse Weise klarzumachen. Was uns zum Beispiel verbindet, noch als Letztes: Der Versuch, hier ein Straßenfest zu organisieren, scheitert daran, dass das Straßenfest, das das Veedel leben lassen will, nicht erlaubt wird, und das Straßenfest, das kommerziell dem Veedel schadet in der Darstellung, genehmigt wird. Mit solchen Fragen müssen wir uns beschäftigen und immer wieder gucken, was wir noch besser machen können.
Hans Mörtter
Genau, das bezieht sich auf "Bunt im Block", das wir versucht hatten, und wir haben glorreich verloren, weil es eine ungeheure Hetze gegen uns gab, auch gegen mich persönlich, als ob wir das Viertel überrennen würden und einen Massenevent daraus machen. Das traditionelle, das kommerzielle Straßenfest hat gesiegt, wir haben verloren, und wir werden es nicht ein zweites Mal versuchen ohne ganz viel Rückendeckung. Wir sind regelrecht geschlachtet worden und das hat sehr, sehr weh getan, wie wir verleumdet worden sind. Es sind am Ende die übrig geblieben, die an Festen richtig fett Geld verdienen. Und die gelten dann als die Straßenfeste Kölns.
Hartmut Priess
Da möchte ich auch die jungen Gruppen loben, die sich kritisch einbringen. Ich hab gehört, dass Kasalla hier öfter war, und wenn ich jetzt auf der großen Bühne nicht mehr dabei bin, freue ich mich aber, dass die Bewegung um „Loss mer singe“ jede Menge Gruppen hervorgebracht hat, die in Köln hier eine gute Rolle spielen. Mich stört es etwas, dass es so viele sind, dass man den Überblick verliert, aber ich hab mit einigen zu tun gehabt, und das war durch die Bank erfreulich. Um jetzt die Bekannteren zu nennen: Das war Kasalla, war Cat Ballou oder Querbeat. Es ist schön, dass das so weitergeht, und es kommen Gedanken in den Liedern vor, die der Stadt gut tun. Insofern hab ich eigentlich ganz gerne aufgehört, weil ich sehe, dass es andere gut weitermachen.
Hans Mörtter
Also es sind auch die Lieder, die uns hier in Köln zusammen schweißen.
Zum Schluss möchte ich noch ein Projekt erwähnen, das wir gerade auf den Weg gebracht haben: „Köln zeigt Haltung“. Ich glaube, das kennt ihr. Wir haben letzte Woche einen Vorschlag unterbreitet an die Oberbürgermeisterin und die Fraktionsvorsitzenden des Rates. Darin bitten wir unter anderem, dass der Rat beschließen möge, die Patenschaft über die Seawatch 3 zu übernehmen. Köln hat eine Patenschaft über die Fregatte Köln, das ist ein Kriegsschiff, und dann kann es genauso möglich sein, dass wir eine Patenschaft übernehmen für ein Schiff, das Menschen vor dem Ertrinken rettet. Dazu gehört dann aber die Verpflichtung, die Menschen, die von der Seawatch gerettet werden, in Köln aufzunehmen, so wie Neapel das vorgemacht hat, als Bekenntnis der Bürger*innen einer Stadt: Wir lassen niemanden ertrinken.
Danke an Cornel Wachter, der einfach umtriebig bis zum Gehtnichtmehr ist, unser wunderbarer gemeinsamer Freund. Der wusste, dass diese Schallplatte hier bei einem Brand bei dir zu Hause vernichtet worden ist. Das kriegst du also als Dankeschön, Cornel hat’s besorgt.
Hartmut Priess
Vielleicht können wir die mal herumgehen lassen. Wir sind ja hier in einer Kirche, dann krieg ich sie auch wieder. Ich glaube, das macht noch Spaß am Ende. Es ist eine Langspielplatte, die sich mit Liedern aus Köln von der Schlacht von Worringen bis heute beschäftigt. Die originalen Lieder von der Schlacht von Worringen gibt es nicht mehr, aber wir haben ein Lied über Kölner Stadtgeschichte gemacht. Es beschreibt den Kampf um Freiheit in Köln, von 1288 bis heute, und wenn man das Cover umdreht, sieht man kämpfende Ritter. Das ist ein Teil der Manesse-Handschrift, ein Original aus dieser Zeit. Auf der Rückseite, wenn ihr das Ding umdreht, seht ihr, um was die Leute gekämpft haben und was heute übrig geblieben ist. Das Bild auf der Rückseite gehört zu meinen absoluten Lieblingsbildern, die hier mal in Köln veröffentlicht worden sind.
Hans Mörtter
50er-Jahre, ein sehr korpulenter Mensch auf einem Heimtrainer.
Hartmut Priess
Reicht es mal rum, es ist ein Blick auf die Geschichte, der doch ein bisschen Spaß macht.
Hans Mörtter
Wir singen jetzt noch ein Lied, das Gaby Falk getextet hat, die im Karnevalsgottesdienst et Marieche spielt. Sie hat sich eurer Stammbaum-Lied vorgenommen und aktualisiert, und in dieser Fassung habt ihr ihn auf dem Blatt, das singen wir jetzt. Ich hatte Hartmut damals extra gefragt, ob wir das singen dürfen, weil wir den Refrain und die Melodie ja benutzen, nur dass der Text ein neuer ist. Da hat der Hartmut gesagt: Ja, super, klasse, das haben wir 2015 in der Philharmonie zu unserer Flüchtlingsveranstaltung mit dem Gürzenich-Orchester aufgeführt. Kafi, Bömmel und du, ihr wart mit dabei. Es war herrlich. Aber danke euch für den Stammbaum, denn der ist nun mal ein großes, großes Kölner Bekenntnis. Und ich danke dir auch für dieses Gespräch, dein Sein und alles, was du in dieser Stadt mit angezettelt hast.