Es geschah bei einer Routineüberprüfung, als festgestellt wurde, dass unser Glockenstuhl marode war und erneuert werden musste. Zu Pfarrer Hans Mörtters Verwunderung zeigte sich, dass der Stuhl für sechs Glocken ausgelegt ist, anstatt für die vorhandenen drei. Seine Recherchen ergaben, dass die ursprünglichen Bronzeglocken der 1906 erbauten Lutherkirche während des Ersten Weltkriegs eingeschmolzen und zu Kriegsmaterial verarbeitet worden waren. Auch wenn es danach drei neue Stahlglocken gab, die den Zweiten Weltkrieg überstanden und heute noch läuten, wollte Pfarrer Hans Mörtter ein Zeichen setzen. In Zeiten von vielen Kriegs- und Krisenherden in der Welt und mitten in die Diskussionen um Waffenlieferungen will er nun nicht mehr nur mit drei, sondern mit sechs Glocken in wieder hergestellter Ganzheit für den Frieden läuten.
Bruder Michael Reuter, der Glockengießer der Benediktinerabtei Maria Laach, hat sich gründlich überlegt, was für Glocken er für uns gießen will. Wir bekommen das gleiche Glockenprofil wie Maria Laach selbst. „Das ist eine Konstruktion aus Nordfrankreich, die über das Elsaß zu uns gekommen ist und einen warm klingenden Ton hat“, erklärt er. „Glockengießen ist ein optisch sehr grob wirkendes Handwerk, aber es kommt gerade auf die Feinheiten und exakte Berechnung an. Das Wichtigste beim Glockengießen ist die Präzision, da muss eine Hand in die andere gehen. Mich fasziniert das Zusammenspiel von Mathematik, Musik und Handwerk, obwohl es durchaus ein Kampf ist, das miteinander in Einklang zu bringen. Doch für mich lohnt es sich immer wieder: Glocken erreichen Ebenen in uns, die mit anderen Instrumenten nicht zu erreichen sind.“
Bruder Michael hat seit Beginn der Glockengießerei in Maria Laach im Jahr 1999 schon rund 1300 Glocken gegossen und daher viel Erfahrung. Die Glockenbronze besteht zu 78 % aus Kupfer und zu 22 % aus Zinn und der Glockenguss steht in einer langen Tradition. Im Jahr 1497 gelang dem holländischen Glockengießer Gerhard van Wou mit der Gloriosa, die heute im Erfurter Dom noch zu hören ist, ein Meisterwerk. Van Wou hatte einen Weg gefunden, die Schlagtöne genau zu berechnen und eine nahezu saubere Innenharmonie zu schaffen. Im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) ging viel von diesem Wissen verloren. Erst 1892 ging ein Mönch des wiedererstanden Klosters Maria Laach, Johannes Blessing, wissenschaftlich vor. Der Naturwissenschaftler und Musiker setzte sich akademisch mit dem Phänomen des Glockenklangs auseinander, damit dieser kein Zufall mehr bliebe und eine Innenharmonie in sauberen Intervallen entstehen konnte. Wenn der Klöppel anschlägt, ist das der Nennton, darüber pfeifend ist ein höherer Ton, eine Moll-Terz, darunter der brummende und am längsten anhaltende Ton, die Unteroktave, die alle in Harmonie zueinander stehen sollen.
Seit den 1950er Jahren ist die Glockenherstellung insgesamt um rund 90 % zurückgegangen. Es ist also ein seltenes Ereignis und wird für die heutige Gemeinde der Lutherkirche nicht mehr vorkommen. Aber die Glocken werden noch sehr lange nach uns vom himmlischen Frieden künden.
Interview mit Pfarrer Hans Mörtter
Podcast mit Pfarrer Hans Mörtter
Link zum Glockenfest
Foto oben und weitere Fotos: Stefan Schmiedel (StS)
sonstige Fotos: Helga Fitzner
Fotos vom Glockengießen als Video von Stefan Schmiedel
Die Gemeinde der Lutherkirche versammelt sich in Maria Laach (StS)
Die Gemeinde der Lutherkirche in Maria Laach auf dem Weg zum Glockengießen
Der Glockengießer Bruder Michael Reuter erzählt von der Geschichte Maria Laachs
Bitte um Gottes Segen: Pfarrer Hans Mörrter (Mitte)
Kupfer und Zinn werden in den Ofen geschoben
Die Bronze bahnt sich ihren Weg aus dem Ofen (StS)
Der große Moment: Unsere erste Glocke von drei Glocken wird gegossen
Bruder Michael kümmert sich um die Feinheiten (StS)
Die flüssige Bronze wird zur nächsten Glocke geleitet (StS)
Geschafft! Das Werk ist verrichtet (StS)
"Festgemauert in der Erden": eine unserer neuen Glocken (StS)