Burkhard Müller
Bundeswirtschaftsminister Brüderle hat jetzt den Jahreswirtschaftsbericht vorgelegt. Es sagt: Die Stufensteuer wird kommen. Besonders die kleineren und mittleren Einkommen sollen entlastet werden. Dann gibt es nur noch Steuersätze von 10, 25 und 35 Prozent. Die Leute, die vorher 43 Prozent zahlten, gehen auf 35 zurück, nehmen wir an, das sind die Leute, die eine Million verdienen, die sparen dabei 8.000 Euro. Derjenige, der 10.000 Euro verdient und 347 Euro Steuern zahlen müsste, wie viel spart der? Wieso kann Brüderle sagen: Besonders die Kleineren haben dabei den Profit? Das ist doch Betupp, oder nicht? Muss man da nicht höllisch aufpassen, dass die Ärmeren, für die die Steuerermäßigung angeblich sein soll, auch wirklich was von haben?
Frank Lehmann
Wir haben doch die Partei mehrheitlich gewählt, die Steuersenkungen versprochen hat, und plötzlich ist die von popeligen 5 Prozent, wo die auch hingehört, bei ca. 15 Prozent gelandet. Und ist das nicht hochinteressant, dass in unserer Gesellschaft das Thema Steuersenkungen negativ besetzt ist! 58 Prozent der Leute wollen keine Steuersenkung, weil sie genau wissen, dass die Staatsverschuldung so gewaltig gestiegen ist, dass unsere Kinder und Kindeskinder das abzuzahlen haben. - Ich bin auch einer von den sogenannten Besserverdienenden. Ich bekomme hier von Pfarrer Mörtter gerade mal die Fahrt bezahlt, aber wo ich heute Abend hingehe, bekomme ich ein nicht schlechtes Honorar. Von diesem nicht schlechten Honorar muss ich 43 Prozent an den Staat bezahlen. Ich mache das nebenher, aus Freude. Wieso zieht mir der Staat, der nichts dafür tut, 43 Prozent von dem Honorar ab, was ich heute Abend bekomme? Warum? Ich bin nicht ein Superreicher.
Burkhard Müller
Der Steuerzahlerbund, ein ganz geheimnisvolles Unternehmen, sorgt dafür, dass im Juli jeden Jahres ein Steuerzahlertag ist. Bis dahin hat man nur für den Staat gearbeitet. Eigentlich meine ich, müsste man etwas ganz anders machen. Man müsste nämlich einen Festtag der Rückzahlung des Staates an die Bürger*innen machen, denn alles, was der Staat kriegt, kriegen wir ja wieder. Die investieren in gute Straßen, in Schulen, 25 Prozent gehen in die Renten, 14 Prozent in die Gesundheit, also – im Grunde genommen muss man das anders sehen: Der Staat nimmt uns nichts weg, sondern der gibt uns so viel. Der Staat hilft uns, dass Sie von Ihrem Vortrag, den Sie heute Abend halten, sich daran beteiligen. Dafür verdienen Sie ein herzliches Dankeschön! - Es gibt Leute, die sagen, dass wir einen schlanken Staat brauchen. Was halten Sie von diesem Schlagwort?
Frank Lehmann
Ist richtig, wir brauchen den schlanken Staat, der wichtige Hoheitsaufgaben abdeckt, sich aber als Unternehmer weitgehend raus hält. Nur hat man die so genannte Deregulierung (sprich: Privatisierung) übertrieben, hat den Märkten zu sehr vertraut.
Das hat eben zu dieser Katastrophe geführt, dass die Märkte plötzlich im Exzess schwammen. Kein Sozialismus mehr, nur noch der Kapitalismus, wir schöpfen aus dem Vollen, den Staat kannst du vergessen, jetzt sind die Finanzmärkte an der Macht. Für mein Umfeld, für meine Gemeinde habe ich keine Verantwortung mehr. Heute ist man vielleicht immer noch in der Welt zu Hause, aber jetzt sehnt man sich wieder nach der Heimat. Es heißt jetzt nicht mehr Globalisierung, sondern Lokalisierung. Bei den Familien heißt es Regrounding. Wir sind wieder bodenständig, zurück zur Familie, zurück zu deiner Gemeinde und zurück zur eigenen Volkswirtschaft. Nachdem das Rad derart überdreht worden ist, zieht man sich zurück. Dann ist auch plötzlich der Staat wieder gefragt. Wir haben uns in die Scheiße geritten, Staat rette uns, wir schaffen es alleine nicht mehr. Ein Mann, der dafür steht, ist Herr Ackermann. Bei uns rechnet sich das so: 1 Ackermann = 14 Millionen. Da gibt es aber welche in seinem Haus, die verdienen drei Ackermänner, also 32 Millionen. Sein Name steht als Symbolfigur dafür. Leider ist die Staatsquote jetzt so hoch, dass wir jetzt sehen müssen, dass der Staat, den wir als Retter gerufen haben, nicht in eine Hybris verfällt wie die Banker und sagt: Ich kann alles besser. Das kann er eben nicht. Jetzt müssen wir die gesunde Mischung finden.
Burkhard Müller
Sie haben ein interessantes Schlagwort, Staatsquote, gebraucht. Das ist für mich ein ganz diffuser Begriff.
Frank Lehmann
Der Anteil des Staats an den gesamten Ein- und Ausgaben, der liegt bei uns bei über 50 Prozent, müsste aber bei 30 Prozent liegen. Dann könnte die Wirtschaft wieder aufatmen. Es gibt eine wunderschöne Formulierung von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt.: „Was wir erlebt haben und jetzt noch erleben, ist eine Kombination aus hoher Intelligenz gepaart mit fantastischer, mathematischer Begabung, in Zusammenarbeit mit hoher Selbstbereicherung und Exzessen“ – und jetzt kommt es – „in Abwesenheit von normaler Urteilskraft und Verantwortungsgefühl.“ Dann kam die Gegenbewegung, dass der Staat eingreifen musste.
Burkhard Müller
Noch mal zur Staatsquote. Wenn wir mehr Rentner*innen haben, weil wir älter werden, steigt die Staatsquote ganz von selbst. Da macht der „böse“ Staat gar nichts dran, sondern das steigt. Wenn, zum Beispiel, Polizei abgebaut wird und private Sicherheitsdienste das übernehmen, dann sinkt die Staatsquote. Das ist doch nur ein Vorteil, wenn auf den Bahnhöfen private Sicherheitsdienste das machen. Die Staatsquote sinkt.
Frank Lehmann
Das ist richtig.
Burkhard Müller
Wenn die Stadtwerke verkauft werden, sinkt die Staatsquote. Man erkennt, dass man Quatsch damit gemacht hat. Überall kaufen sie die Stadtwerke zurück. Das heißt, diese Orientierung an der Staatsquote – ist meiner Meinung nach Quatsch.
Frank Lehmann
Man muss das sehr differenzieren. Der Staat hat sich völlig überhoben. Gucken Sie mal die Landesbanken an, da ist der Staat drin und sagt, wir können es besser. Können sie es besser? Überhaupt nicht. Ein Debakel.
Burkhard Müller
Nein, die haben sie verhalten wie die anderen Banker*innen. Das war der Fehler, die haben gezockt wie die Privaten.
Frank Lehmann
Es ist eine Frage der Mentalität. Nicht weit entfernt von hier sitzt die Westdeutsche Landesbank, die sehr junge Händler*innen hat. Die habe ich mal gefragt: „Warum habt ihr euch so verzockt?“ Die meinten: „Wissen Sie, Herr Lehmann, wenn ich hier ein großes Rad drehe, hinter mir sitzt kein Aktionär, der auf sein Geld achtet, da sitzt der Staat, da sitzt die Landesregierung, Nordrhein-Westfalen, da sitzen die Sparkassen. Ich kann also ein viel größeres Rad drehen als ein Banker, der in Frankfurt sitzt und einem Herrn Ackermann gegenüber verantwortlich ist.“ Diese Mentalität – hinter mir sitzt der Staat und der regelt das schon alles –, das setzt sich in vielen staatlichen Unternehmen fort. Deswegen ist der Staat auf Dauer der schlechteste Unternehmer.
Burkhard Müller
Aber, nein, nein, die Lehman Brothers, mit denen alles angefangen hat, waren privat. Die haben gezockt, das ist wie eine Wette und beim Wetten kann man gewinnen und verlieren.
Frank Lehmann
Dein Handel sei es, dich zu beherrschen, meinte Goethe. Tugenden gelten wieder, Verantwortung, Ethik und Moral gelten wieder. Das war ja weg. Hoffentlich führen wir auch Regeln ein, dass die Herrschaften ihre Exzesse nicht morgen wieder machen, denn der Kasinobetrieb ist teilweise schon wieder losgegangen.
Burkhard Müller
Unsere Wirtschaft wurde in den letzten 10 bis 15 Jahren sehr stark von den Theorien des US-amerikanischen Ökonom Milton Friedman**** bestimmt. Der sagt zum Beispiel: „Es gibt keine Verantwortung des Einzelnen für seine Mitbürger. Jeder sorgt allein für sich selbst. Die soziale Verantwortung der Unternehmer besteht darin, Profite zu erwirtschaften, Punkt. Schulpflicht soll abgeschafft werden, Bildung ist Privatsache. Der vorherrschende Glaube an soziale Gerechtigkeit ist gegenwärtig die schwerste Bedrohung der meisten anderen Werte einer freien Zivilisation.“ Mich würde interessieren, ob Sie in einer Schule auch jemanden wie Friedman durchnehmen würden. Das ist doch Gift. Das Konzept sollte sein: Habt Verantwortung füreinander! Oder nicht?
Frank Lehmann
Ja, natürlich. Ich kann Ihnen genauso gut andere nennen. Wer ja jetzt momentan auch wieder gefeiert wird, ist John Maynard Keynes***, ein Wirtschaftswissenschaftler des letzten Jahrhunderts.
Burkhard Müller
Durch die Pleite kommt der wieder hoch.
Frank Lehmann
Ja. Warum kommt er hoch? Weil er gesagt hat: Wenn die Wirtschaft ausfällt und der Verbraucher nichts tut, weil ihm das alles nicht geheuer ist, dann muss der Staat, wie jetzt geschehen, mit Konjunkturprogrammen eingreifen. Das hat auch sein Gutes. Aber generell, lieber Herr Müller, sollte über allem stehen: Eigentum verpflichtet. Oder: Salus publica suprema lex, das öffentliche Wohl ist das oberste Gesetz. Wenn wir uns dem gegenüber verpflichteten, dann könnte man sogar mal über die Stränge schlagen. Zunächst müssen wir aber auf den Pfad der Tugend zurückkehren.