Hans Mörtter
So manche Politiker bezahlen lieber die Türkei und schließen einen Pakt mit Ministerpräsident Erdoğan, damit der die Flüchtlinge in den türkischen Lagern behält. Wenn sie dort so sicher sind, wieso kommen sie trotzdem, Elias?
Elias Bierdel
Für mich bleibt die Kernfrage im Prinzip bei uns selbst hängen. Sind wir am Ende bereit zu teilen und unseren Lebenswandel hier, der ja auch wahnhafte Züge hat, wirklich zu überdenken. Oder verschulden wir das Elend von Leuten, die woanders herkommen, zu großen Teilen mit. Entschuldigung –, wir kommen da nicht raus. Wir haben extrem unfaire Handelsbedingungen gegenüber weiten Teilen unserer Nachbarregionen. Das gilt besonders für Afrika. Unsere Agrarsubventionen machen die Märkte da kaputt, wir wissen das alles. Durch den Klimawandel gibt es in bestimmten Gegenden für die Leute keine Lebensgrundlage mehr, die müssen die Regionen verlassen. Was ist das für ein Irrsinn, dass wir Leute quasi durch unsere Initiativen, auch durch unseren Lebenswandel, den wir uns hier anmaßen, vertreiben – wir wollen vom Waffenhandel gar nicht reden usw. Sie versuchen sich hier vor den Folgen zu schützen, und ich kann es einfach nicht akzeptieren, dass wir sie einfach abschmieren lassen. Ich will nicht Teil einer solchen Gesellschaft sein. Die Dynamik im Klimawandel bleibt doch nicht bei den Afrikanern oder in Bangladesch hängen, das ist doch unser gemeinsamer Lebensraum, der hier vor die Hunde geht. Und dazu fällt uns im Moment leider nicht viel mehr ein, als Abgaswerte zu manipulieren. Ich finde wirklich, das ist enorm politisch. Das ist so eine Zeit - eine Übergangszeit, wie ich das sehe! - , in der wir noch versuchen, uns selbst und andere zu bescheißen und zu manipulieren. Dass auf diese Weise keine Lösung zustande kommt, das sollte uns schon klar sein.
Hans Mörtter
Gestern stand in der Süddeutschen Zeitung ein interessanter Kommentar. „Nichts ist den Menschen hier fremder als Beschränkung im persönlichen Bereich, im persönlichen Alltag. Freiheit ist erstens der Kneipenbesuch und zweitens, dass der Wirt Heizpilze auf den Gehsteig stellt, damit man auch im Januar den Wein und den Barsch draußen genießen kann. Freiheit ist, dass Amerikaner 6,6 Milliarden Kilowattstunden Strom allein für Weihnachtsbeleuchtung aufwenden, mehr als Tansania im gesamten Jahr verbraucht.“ Das ist der Wahnsinn. Wer sind wir, was maßen wir uns an? Dann sehe ich hier Angst, Angst, Angst. Aber vor was denn? Dass wir was verlieren? Dass wir vielleicht nicht mehr unterm Heizpilz draußen sitzen können? Ich brauche keinen Heizpilz, ich ziehe einen dicken Pullover an und sitze auch so gerne draußen.
Elias Bierdel
Okay, das ist das Gute am Klimawandel, den Heizpilz brauchen wir dann auch bald nicht mehr. - Nein, ich meine, wir müssen aufpassen, dass das nicht banal wird, dass das nicht wohlfeil wird, weil wir das alle wissen, und nicht nur hier in diesem Raum, sondern die gesamte Gesellschaft hat das schon irgendwie verstanden. Ich sehe das so: Wir sind in einer Phase des Übergangs, das spüren wir, dass die alten Konzepte, die Rezepte meistens nicht mehr funktionieren, wir wissen aber noch nicht genau, wo die Kiste hingeht. Das verunsichert durchaus. Ich bin auch der Meinung, dass Angst, also sagen wir mal tiefe Sorge sehr berechtigt ist, wenn wir hingucken, wie sich das Ganze entwickelt. Es gibt einem ja auch Energie, wenn man sich engagiert und etwas tut, um was zu verändern. Welche Möglichkeiten da sind und was da wirklich noch für Interessen eine Rolle spielen, ist eine andere Frage, aber wie kriegen wir wirklich zusammen den mutigen, entschlossenen Schritt hin. - (Jauchzendes Baby im Hintergrund). Das ist übrigens meine Enkelin Maya, es geht ja eigentlich um sie. Natürlich möchte sie gerne schon mitreden, aber sie ist noch nicht so weit, dass sie das jetzt äußern könnte. - Also wie kriegen wir das hin, dass die Maya hier noch in 20 Jahren zum Talkgottesdienst kommen kann, und dass wir alle zusammen den Mut nicht verlieren und auch nicht die Gelassenheit, die gute Laune, die wir dazu brauchen. Es geht ja nicht um etwas, was wir verlieren würden, sondern es geht ja darum, dass wir Zukunft gewinnen, dass wir überhaupt Perspektiven gewinnen. Warum wenden sich so viele Leute von der Politik ab, auch viele junge Leute? Die ist halt nicht sehr überzeugend, das ist immer noch das alte Denken, das alte „Rumfummeln“. Das ist ein Spiel, was eigentlich keiner mehr will, was auch überhaupt kein bisschen weiterführt. Ich frage mich, wo die Räume, die Plattformen und die Begegnungsmöglichkeiten sind, um was anders zu machen. Da ist das Beispiel eurer Südstadt-Kirchengemeinde schon mal nicht schlecht. Kirchenräume sind sehr geeignete Räume, wo man angstfrei miteinander ernsthaft reden kann darüber, was eigentlich und wie weitergehen sollte. Denn dass es weitergeht, Maya, also daran gibt es keinen Zweifel. (Applaus)
Hans Mörtter
Wir haben am Freitag ein Treffen bei mir gehabt mit Vertretern und Vertreterinnen der Willkommensgruppen hier in Köln. Es gibt einen Arbeitskreis Politik, und wir haben gesagt, wir müssen unbedingt was sagen zu der Situation seit den Silvesterübergriffen hier in Köln und drei anderen Städten, und haben eine Stellungnahme verabschiedet im Konsens mit ganz vielen Freiwilligen, die in den Initiativen hier in Köln und in ganz Deutschland arbeiten. Die gehen alle in die gleiche Richtung, nämlich wir sagen: Jetzt erst recht! Wir stehen hier und wir setzen uns ein, und wir machen das mit einer hohen Professionalität, weil der Staat da völlig versagt – finanziell wie logistisch, strukturell und von der Strategie her. Wir schaffen die Orte, wir schaffen die Räume miteinander, stehen dafür ein, und wir lernen in einer rasenden Geschwindigkeit dazu, wie wir handeln können, wie wir handeln müssen oder wie wir manch einem Arschloch unter den Männern in den Arsch treten müssen. Auch das tun wir in den Flüchtlingsinitiativen. Das sage ich einfach mal, das gehört nämlich mit dazu. Es ist nicht neu, was Silvester passiert ist, ist uns allen nicht neu in der Flüchtlingsarbeit, weil wir wissen, Männer sind Männer, egal woher sie kommen. Und dieses Gerede, der böse Araber und der kann ja gar nicht anders, ist völliger Schwachsinn. Ein Stück weit ist da was dran natürlich am patriarchalen Männerbild, aber wer sagt, dass wir das in Deutschland nicht haben, der lügt, das ist einfach so. Dem müssen wir uns stellen, das ist eine ganz andere Nummer, und das tun wir eben. Das sind die Räume, die neu entstehen, glaube ich, aber wir müssen uns trauen. Wenn wir uns nicht trauen, das Handeln in die Hand zu nehmen, dann geht’s schief, dann geht’s richtig schief. Du gehörst einfach auch zu denen, die das immer getan haben, und da würde ich mal sagen: Danke, Elias!
Jetzt frage ich dich aber zu Lesbos noch mal: Du bist nach Lesbos gefahren, weil es irgendwie auch deine Insel ist, du wolltest endlich dein Buch schreiben. Vor zwei oder drei Jahren, als wir in Österreich zusammen waren, hast du gesagt: Ich steige aus der Flüchtlingsarbeit aus, ich schreibe jetzt mein Buch. Ich fand das toll. Dann bist du nach Lesbos gefahren, um deine Ruhe zu haben, das Meer, um zu schreiben, und was ist passiert?
Elias Bierdel
Der Herr hatte was anderes mit mir vor. Ich habe zwar doch ein paar Bücher geschrieben, aber eben nicht jene Geschichte, die ich gerne aufschreiben wollte. Es war eben noch nicht der richtige Moment, aber jetzt möchte ich das trotzdem machen und mich auch von der Flüchtlingshilfe zurückziehen. Ich hab mich jetzt schon sehr lange Zeit mit diesen sehr, sehr ernsten Fragen und speziell auch den Umständen an den Außengrenzen mit den vielen Toten befasst. Das ist sehr belastend, sehr schwer und jetzt würde ich mich gerne mal um andere Themen kümmern. Das war die Grundidee, und das mach ich auch.
Eigentlich wollte ich schon ab diesem Jahr keine Termine in Sachen Flüchtlingshilfe mehr annehmen und habe für Hans Mörtter eine Ausnahme gemacht. Deshalb ist das hier das letzte Mal heute, dass ich hier öffentlich etwas zu diesem Thema sagen möchte. Das geht auch aus dem Gefühl heraus, dass das jetzt so viele tun und dass das eine riesige Bewegung geworden ist. Ich finde das wunderbar, es ist alles richtig und gut. Auch wenn Behinderungen durch die Obrigkeit und durch extrem fragwürdige Politik entstehen, werden wir uns davon nicht mehr abbringen lassen. Denn es geht hier wirklich um die Zukunft dieser Gesellschaft, unseres Lebens und dessen, was wir wichtig finden. Wir können das jetzt neu definieren, wir können das neu bestimmen, in welchem Land wir leben wollen und wie das aussehen soll. Das werden wir diskutieren, schlauerweise auch mit einigen Leuten, die möglicherweise nicht so direkt in Deutschland geboren sind.
Ich finde die Tatsache bedrückend, dass diese Entwicklungen der Massenflucht, wie der Bürgerkrieg in Syrien, nicht neu sind. Leider, leider. Man hätte es voraussehen können, dass sich da viele Leute auf den Weg machen werden. Aber die Politik hat das ignoriert und dann am Ende den Notstand ausgerufen, das nervt mich natürlich total. Mein Begriff von Verantwortung bei Regierungsmitgliedern wäre schon so, dass ich den jeweiligen Minister fragen möchte, wo warst du denn die letzten fünf Jahre, wenn du mir jetzt erzählst, du bist total überfordert und du weißt nicht, was du machen sollst. Natürlich ist es viel besser, wenn wir etwas vorhersehen, entsprechend steuern und planen. Wenn man es jetzt aber dazu kommen lässt, dass quasi der Zaun umfällt und die Leute gerannt kommen, das ist nicht optimal. Aber das ist die Situation, mit der wir jetzt umgehen müssen. Wenn wir das hinkriegen, dann können wir im Jahr 2016 ein bisschen vernünftiger planen und die Sachen so gestalten, dass die auch gar nicht mehr jene Bilder erzeugen, die dann wieder Ängste auslösen und verstärken. Denn das ganze Chaos von den Außengrenzen wirkt ja wie ein einziges großes Programm, um die Ultrarechten in Europa stark zu machen. Es ist ja nicht zu fassen! Das ist natürlich bedenklich, da müssen wir raus. (Applaus)
Hans Mörtter
Da müssen wir raus. Wir sind gefragt, wir sind die Experten. - Noch mal zurück zu Lesbos.
Du hast gesehen, was passiert, und so, wie du nun mal gestrickt bist, hast du dann auch nicht zusehen können, sondern hast gehandelt und ein Flüchtlingscamp gegründet. Das ist ein ehemaliger Campingplatz, der schon eine Grundstruktur hatte. Erzähl mal davon, was da gelaufen ist. Das Projekt heißt Proti Stassi, erste Station.
Elias Bierdel
Das war so ähnlich, wie du gesagt hast. Ich habe früher viele Jahre auf Lesbos gelebt und auch meine Tochter Sophie, die Mama von Maya, ist da aufgewachsen. Als ich jetzt im Juni dort war und mir klar wurde, was sich da abspielt, musste ich irgendwas tun. Ich habe dann versucht, mit dem Verein borderline Europe, den wir 2007 gegründet haben, dort was aufzuziehen. Es sollte kein Camp werden, es ging uns darum, einen ersten Empfang zu organisieren, denn an diesen Stellen gibt es keinen Staat. Da gibt es nichts, was für Menschen da ist, die mit ihren Schlauchbooten ankommen, die da irgendwo auf die Felsen prallen. Dann sind aber sehr, sehr viele Leute auf die Idee gekommen, dass man da was machen müsste, fast könnte man sagen auch mal ein paar zu viele vielleicht. Es kam da leider zu Auswüchsen von hysterischen humanitären Überreaktionen. Das ist ein heikles Thema. Navid Kermani hat das in einem langen SPIEGEL-Essay sehr, sehr schön beschrieben, wie da blonde Mädchen aus skandinavischen Ländern am Strand im Bikini rumhüpfen und wahllos in Schlauchbooten ankommende Flüchtlinge an sich drücken oder sie umarmen usw. Da muss ich einfach sagen, das hat vielleicht auch mit der Wahrnehmung zu tun. Wer da aus Afghanistan, Pakistan oder so kommt – hier bei Dir darf man ja eine klare Sprache führen –, die dachten, sie sind im Nuttenparadies gelandet. Ist ja klar, die konnten das doch gar nicht einordnen. - Wir haben versucht, da etwas Vernünftiges aufzuziehen, und merkten dann schnell, dass die lokale Bevölkerung, und das hat mich entsetzt, entschieden gegen unser Projekt war. Ich verstehe, dass in Griechenland die Bevölkerung komplett mürbe ist nach diesen Jahren von Sparauflagen und diesen ganzen EU-"Reform"-Programmen, die glauben im Prinzip an gar nichts mehr. Jetzt kriegen die oben drauf noch Flüchtlinge in einer unglaublichen Größenordnung. Durch Lesbos zogen alleine im Oktober 100.000 Leute, das ist weit mehr als die Gesamtbevölkerung der Insel. Manche kleine Dörfer an der Küste bestehen aus 300 Menschen, und jede Nacht kamen da 1.000 bis 1.200 Leute an. Ja, das macht total Angst. Wir wollten unsere Hilfe anbieten - für Flüchtlinge, aber auch für die Einheimischen, die mit der Situation sichtbar überfordert waren. Nachdem wir einen leerstehenden Campingplatz nicht bekommen hatten, wollten wir eine alte Fabrik zum Winterquartier umbauen. Was dann passierte, war entsetzlich bürokratisch und fies. Plötzlich wurde Stimmung gegen uns gemacht, wir bekamen auf einmal antideutsche Sachen zu hören und es wurde behauptet, dass wir nur gekommen wären, um hier Geld zu machen. Dabei sind wir alle völlige Trottel und ehrenamtliche „Garnixe“ da. Aber es war nicht mehr durchzukommen, man hat uns das Wasser abgestellt und verhindert, dass wir das Winterquartier bauen können. So, und jetzt, wie schön ist das denn, vor drei Tagen rufen mich unsere Leute aus Lesbos an und sagen: Elias, wir wollten dir nur mitteilen, wir haben es jetzt gerade eröffnet. Vor drei Tagen, „Proti Stassi“, immer noch gibt es da bestimmt Widerstand und Schwierigkeiten und sonst was. Aber das ist das erste Winterquartier für Flüchtlinge, weil es auf der Insel extrem kalt werden kann – wir haben das selber erlebt früher, bis zu minus 20 Grad, das ist gar nicht witzig. Die Eröffnung ist für mich eine unheimlich schöne Sache, dass ich sagen kann, jawohl, irgendwas klappt doch. Aber es war enorm zäh, und man musste durch all diese Sachen durch – Bürgerversammlungen, sich beschimpfen lassen, ja, wie das hier eben auch ist.
Hans Mörtter
Ist dieses Gelingen auf euren Einsatz oder auf ein Einlenken der Bevölkerung zurückzuführen?
Elias Bierdel
Manchmal ist es ein bisschen banal und trivial, und die Wege des Herrn sind unergründlich. Die haben gemerkt, dass es überall dort, wo solche Einrichtungen sind, auch Jobs für die lokale Bevölkerung gibt. An dem Punkt haben sie gemerkt, dass sie im Winter Geld verdienen könnten. Dann hat das eben auf diese Weise gezogen. Es ist uns ja wichtig, auch der lokalen Bevölkerung zu helfen. Es ist ja nicht so, als ginge es denen super, und den anderen, die kommen, allen schlecht. Natürlich haben die gemerkt, dass viele von den syrischen Familien prächtigere Handys hatten als die lokalen Jugendlichen. Ja, da ist das wirklich auffällig, und damit muss man auch argumentativ umgehen. Aber anscheinend ist das Winterquartier jetzt in Gang gesetzt. Das ist für mich auch deshalb wichtig, weil ich mich selbst da so reingehängt habe, weil Leute dafür Geld gespendet haben. Wenn du dann nach Hause kommst und sagst, dass es nicht geklappt hat, obwohl es total wichtig wäre, dann ist das natürlich nicht so schön. Jetzt kann man sagen kann, dass wir da wenigstens noch ein bisschen was Gutes machen können.
Hans Mörtter
Christos Koutsouras ist der Künstler, der unser Altarbild gemalt hat. Der war über Weihnachten bei seiner Familie auf Samos und hat mir Bilder geschickt. Auf denen sind die Schwimmwesten und die Rettungsringe an der Küste zu sehen. Da sind aber auch Kochtöpfe drauf. Die Familie lebt in einem sehr kleinen Dorf. Christos sagt, dass die Griechen aufgrund des Erwürgens durch die Europäische Union einfach nichts mehr haben und es allen mittlerweile sogar egal ist, dass das so ist und sie sogar noch beschimpft werden. Diese Menschen haben tonnenweise Essen gekocht. Die haben nichts und kochen für 1.200 Menschen in diesen Tagen Essen, die ständig neu mit den Booten da ankommen. Das war das, was den Christos so bewegt hat, es ist der Wahnsinn, was da passiert. Das ist eben auch Griechenland, dass es einfach Menschen gibt, die dieses Ur-Recht aufrecht erhalten. Die Gastfreundschaft ist nämlich ein heiliges Recht, und wer davon redet, dass wir unsere Kultur verteidigen müssen, aber nicht mehr weiß, dass Gastfreundschaft ein wesentliches Standbein unserer Kultur ist, der weiß nicht, wovon er redet. Wir in Deutschland haben die Chance, das wieder tun zu können, weil wir es wieder lernen, dass das zum Ur-Menschsein dazugehört. Das heißt aber nicht, dass wir unkritisch oder blauäugig mit den Situationen umgehen, sondern dass wir sehr wachsam sind, aber ein Gehirn haben, das der liebe Gott uns auch geschenkt hat und das wir gut benutzen können.
Elias Bierdel
Ja, wollen wir denn wirklich mit denen, die da ankommen, zusammensitzen und neu diskutieren, wie wir unser gemeinsames Leben hier künftig gestalten, oder sind viele doch noch wieder nur in irgendeiner Warteschleife, in einer Duldung oder irgendwo abgestellt? Ich weiß, dass es hier in Köln ganz viele Gruppen gibt und ganz engagierte Politik gemacht wird. Aber da gibt es im Zeichen dieser Notsituation die Lösung, dass man im Umland irgendwelche Einrichtungen anmietet – Jugendherbergen und Ähnliches – und da jetzt erst mal Leute reinstopft. Im Fachterminus: ohne Tagesstruktur. Das heißt ohne eine Betreuung, die irgendeinen Sinn ergibt. Ich habe mit meinen Freunden darüber geredet, wenn du uns in dem Alter mal irgendwie einen Monat in einem Kaff eingeschlossen hättest, die Ideen, die uns dann gekommen wären, und zwar besonders mir, wären nicht die schlauesten gewesen, das steht mal fest. Also wer will das? Es ist doch völlig klar, wenn die Leute da sind, dann brauchst du auch eine entsprechende Kultur und den Willen, was mit denen anzufangen. Darf ich noch kurz sagen: Die Schweden sind da auch schon ziemlich fertig, weil es ihnen zu viel wird, aber was die seit Jahren machen ist total schlau: Jeder, der da ankam, dem haben die gesagt, die gute Nachricht ist: Herzlich willkommen, du hast ’n Job. Oh, jetzt schon? Ja, und zwar, du lernst jetzt Schwedisch, aber richtig, drei Jahre, und wenn du das hast, dann reden wir darüber, wie es hier für dich weitergeht. Viel Erfolg! Das finde ich total richtig. Absolut super! Wir in Deutschland haben das nicht gemacht. Wir haben die Leute nicht in dieser Weise eingeladen, hier dabei zu sein, sondern sie sich selbst überlassen. Dann passieren die Sachen eben so ruckweise. Das ist nicht gut. Deutschland hat eine ganz besondere Situation gegenüber anderen europäischen Ländern, wir haben nämlich ein echt demografisches Problem. Und die Kanzlerin hat das wohl gewittert, dass sie hier eine Möglichkeit hat, in einer extremen Hauruckaktion an diesem Problem ein bisschen was zu ändern. Ich denke, dass man in zehn Jahren das ganz klar sehen wird, wie Deutschland seine demografische Lücke, jedenfalls in Teilen, aufgepolstert hat im Interesse unserer gemeinsamen Zukunft. Aber im Moment könnte es sein, dass sogar die alles überstrahlende Superkanzlerin dabei kopfheister geht, dass die jetzt fällt, weil sie, auf mittlere Sicht, zwar spät, aber das Richtige getan hat.