Ich erinnere mich noch gut an ein Erlebnis als Kind: Es war ein schöner Sommerabend, wir waren mit der Familie mit dem Auto unterwegs. An dem schönen Sommerabend freuten aber nicht nur wir uns, sondern auch eine ganze Reihe von Mückenschwärmen. Das Leben dieser Mückenschwärme allerdings fand durch unsere Autofahrt ein jähes Ende: Klatsch, Klatsch, Klatsch, Klatsch, Klatsch- fast so wie Regen hörte sich das an. Tausende von Mücken klebten an der Windschutzscheibe unseres Autos. Mein Vater fuhr langsamer, aber das Sterben ließ sich nicht aufhalten.
„Weißt du, wieviel Mücklein spielen in der heißen Sonnenglut, wieviel Fischlein auch sich kühlen in der hellen Wasserflut? Gott der Herr rief sie mit Namen, dass sie all ins Leben kamen, dass sie nun so fröhlich sind...“ heißt es in der zweiten Strophe des Kinderliedes „Weißt du wieviel Sternlein stehen“. Ganz schön makaber. Das Massensterben der Mücken ging mir wirklich zu Herzen und im nächsten Gebet kam vor, dass Gott die Mücken doch vor den Autos bewahren möge.
Man kann staunen über die Schöpfung, die völlig unterschiedlichen Tierarten, ihr Aussehen, ihr Gespür und ihren Instinkt, über das Singen der Vögel, über den Witz der Schmetterlinge und die Lebensfreude der Kaninchen. Aber man kann auch entsetzt sein, wie brutal Tiere aufeinander losgehen und sich gegenseitig töten, was für eine gnadenlose Hackordnung im Tierreich herrscht. Und der Mensch setzt noch einen obendrauf.
Im Schöpfungsbericht heißt es, der Mensch soll unter den Tieren für Ordnung sorgen: Herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen, notfalls auch mit Gewalt. Das Töten von Tieren ist aber ausgeschlossen.
Im Paradies lebten die Menschen vegetarisch, ja sogar vegan: Nur Pflanzen, die Früchte tragen, also sich direkt wieder aussämen können und Früchte an Bäumen, die sich ebenfalls wieder reproduzieren können, sollten die Menschen essen. Fleischkonsum, kann man sagen, gehört zur gefallenen Schöpfung, zu der Welt, wie sie ursprünglich von Gott nicht gemeint war. Zu Fleischfressern werden Menschen erst, nachdem sie das Paradies verlassen haben.
Feldarbeit, das Züchten von Tieren und auch das Schlachten von Tieren bestimmt seit Jahrtausenden den Alltag von Menschen. Nur wenige Ausnahmen verzichteten auf tierische Produkte.
Und Jesus? War Jesus Veganer oder Vegetarier? Nein, nach allem, was wir wissen, wohl eher nicht.
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich Jesus ernährt hat wie die anderen Menschen, die damals gelebt haben, auch: Dass er Fisch und Fleisch gegessen hat. Die Erzählung von der Speisung der 5000, die alle satt werden von fünf Broten und zwei Fischen und vom Passamahl, das Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat und zu dem auch Lammfleisch gehört, belegen, dass Jesus auf Fisch und Fleisch nicht verzichtet hat: Ob man's will oder nicht. Allerdings gab es zu Jesu Zeiten noch keine Massentierhaltung, keine Legebatterien, keine hemmungslose Überzüchtung und eine größere Nähe zwischen Mensch und Tier: Jesus, das Gotteskind, wurde schließlich in einem Stall geboren.
Über die Zeit zwischen seiner Taufe und bevor er begann, zu predigen von Gottes Reich, wird im Markusevangelium erzählt: „Und sogleich treibt ihn der Geist in die Wüste hinaus. Und er war vierzig Tage in der Wüste und wurde von dem Satan versucht; und er war unter den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm.“ Für mich ist dieser kurze Text eine wirkliche Entdeckung: Denn häufig wird die Bemerkung überlesen, dass Jesus unter den Tieren und in Gemeinschaft mit ihnen lebte, bevor er sich an die Menschen wandte. Die Hoffnung auf Erlösung, so wird gedeutet, klingt in diesem kurzen Vers an, die Hoffnung darauf, dass Mensch, Gott und Tier in Harmonie und in Einklang leben. So wie es der Prophet Jesaja verheißen hatte: Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen.
Das ist eine Hoffnungsvision, dass alle Gewalt überwunden wird. Selbst Löwe und Schlange leben von Pflanzen. Die Tiere bekämpfen sich nicht untereinander, sondern leben in Frieden miteinander.
Und ich? Als Christin habe ich Sehnsucht nach der versöhnten Schöpfung und versuche Ehrfurcht zu haben vor dem Leben, vor jedem Leben. Wir leben in dem Dilemma, dass Tod und Gewalt zum Leben - auch zum Zusammenleben von Mensch und Tier - dazu gehören. Und teilweise sind wir dem ausgeliefert. Aber oft machen wir es uns auch zu leicht. Der Theologe und Arzt Albert Schweitzer schreibt dazu: »Ist der Mensch von der Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben berührt, so schädigt und vernichtet er Leben nur aus Notwendigkeit, der er nicht entrinnen kann, niemals aus Gedankenlosigkeit.« oder positiv formuliert „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“
Anna Quaas