„Geschenke lähmen die Eigenständigkeit“
Die Tische waren festlich gedeckt, der riesige Weihnachtsbaum erstrahlte in prächtigem Licht und gut gekleidete Gäste tranken sich mit ihrem Aperitif gegenseitig zu. Das wunderbare Personal des Café Ludwig war, wie immer, kompetent bei der Sache; vielleicht waren sie sogar froh, an diesem besonderen Abend Dienst zu haben. Der Restaurantchef Achim Mantscheff drehte seine Runde durch die Gästeschar und es lag eine interessierte Erwartungshaltung in der Luft. Ein Afrikaner aus einem Dorf im Benin hätte sich wohl sehr darüber gewundert, dass in einem solchen Ambiente über Brunnenbau informiert werden würde. Köstlichkeiten, wie das Buffet des Café Ludwig, hätten ihn wohl noch mehr zum Staunen gebracht. Es liegen Welten dazwischen, aber den Organisatoren war es wichtig, das bemerkenswerte und lösungsorientierte Projekt in einer angenehmen Atmosphäre zu vermitteln. Denn es soll in die Welt hinausgetragen werden.
Der Hausherr Achim Mantscheff begrüßte als Erster die Gäste. Er kennt Pfarrer Hans Mörtter schon länger und hatte ihm sein Restaurant für ein Benefiz-Dinner angeboten, wenn sich der Bedarf ergäbe. Nachdem Hans Mörtter vor zwei Jahren während eines Frankreichurlaubs den Diplom-Ingenieur Dr. Arne Thies kennenlernte, war sehr schnell klar, dass er dessen Brunnenbauprojekt unterstützen wollte. Hans Mörtter schätzt an Thies' Arbeit, dass sie eine wahre Möglichkeit zur Veränderung darstellt und die Einheimischen befähigt.
Zur Aufheiterung und Wahrheitsverkündung ließ sich der Kabarettist Wilfried Schmickler zu Anfang über unsere Unzulänglichkeiten aus: „Unsere Solidarität und Mitmenschlichkeit versickert im Kampf um die größten Fleischköpfe“, fasste er die Weltlage zusammen. Er mahnte an, dass „Mülltauchen“ strafbar ist, obwohl es auch in unserer reichen Gesellschaft so viel Armut gibt, dass Menschen im Abfall von Supermärkten nach Brauchbarem suchen. Den Wutbürger, der alles „scheiße“ findet, nahm Schmickler besonders aufs Korn. Er sieht die „Wut als Grundgefühl einer abgehalfterten Kreatur“, die dann neben der Politik und anderem auch noch den völlig unbeteiligten Flüchtlingen die Schuld an seiner eigenen Misere gibt. Leider können wir den Text hier nicht veröffentlichen, weil er aus Schmicklers neuem Programm stammt.
Arne Thies begann seinen Vortrag damit, dass er nach seinem Studium der Landwirtschaft nach Afrika gereist ist und der Kontinent ihn nicht mehr losgelassen hätte. Der Benin hat nur wenig Rohstoffe, so dass es bezüglich internationaler Konzerne dort relativ ruhig ist. In den 1960er bis in die 1980er Jahren sind große Summen an Entwicklungshilfegeldern nach Afrika geflossen, erklärte er weiter, trotzdem ist die Armut seitdem angestiegen. In dem Buch der aus Sambia stammenden Ökonomin Dambisa Moyo wird es sogar als „tote Hilfe“ bezeichnet, „Dead Aid: Warum Entwicklungshilfe nicht funktioniert und was Afrika besser machen kann“. Die Afrikaner wären in der Lage, 98 % ihrer Probleme selber zu lösen (wenn man sie denn ließe). Aus diesem Grund befürwortet Thies Nischenlösungen. Natürlich sind auch technisch anspruchsvollere Brunnen oder schneller Brunnenbau im Katastrophenfall zu befürworten, aber Thies setzt auf handgebohrte Brunnen, die von den Afrikanern selbst ausgehoben werden können und aus Material bestehen, das sie sich selbst besorgen können. Ein versierter Brunnenbauer kann an einem Tag bis zu 20 Meter tief bohren, aus eigener Kraft. Das macht einen Unterschied und es gilt das Motto: „Von Beninern für Beniner“. Es ist so erfolgreich, dass es bereits in Serienproduktion gehen konnte.
Thies zeigte zwei kurze Videos und eine Powerpoint-Präsentation über das Prinzip des Brunnenbaus, der relativ einfach ist. Arne Thies und seine Teams der NGO MIFON („Erwachen“) reisen aber vor allem durch das Land, um die Einheimischen zum Brunnenbau zu motivieren. Das geschieht gemeinschaftsorientiert. Die Bewohner*innen müssen (nach einer Anschubfinanzierung) das Projekt selber tragen. Das sind 0,01 Cent pro Bottich Wasser, der Unterhalt 20 Euro für das ganze Jahr. Das muss erst besprochen werden, denn das schmutzige Wasser ist kostenlos. Die Frauen verstehen das sehr schnell, denn sie sind auf dem oft weiten Weg zur Wasserstelle der Gefahr von Überfällen ausgesetzt. Auch ist die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren sehr hoch aufgrund von Magen- und Darminfektionen. Frauen sind die Zielgruppe für die Genossenschaftskasse, weil sie seriös mit Geld umgehen.
In Absprache mit der Gemeinschaft werden dann die Entscheidungen gefällt. Die Wahl des Ortes für den Brunnen ist besonders wichtig. Der Brunnen zieht auch andere positive Veränderungen nach sich. Neben sauberem Wasser, das einige Wochen nach dem Bau analysiert wird, wenn sich alles gesetzt hat, verbessert das Wasser die Landwirtschaft. Es wird auf kleine Parzellen mit nachhaltigem und ökologischem Anbau gesetzt. Die Brunnenbauer verdienen gutes Geld, es werden immer weitere ausgebildet, so dass die Erfahrung und Professionalität der Beniner wächst.
Das Projekt ist auf sehr gutem Weg, denn es besteht eine Partnerschaft mit dem entsprechenden Ministerium und es wird an der Einbeziehung der Solartechnik getüftelt. Kooperationen bestehen mit der Beniner Universität in Cotonou und der Universität Kiel. Von besonderer Bedeutung ist die Gründung der Beniner Bank CPEC, die z. B. Mikrokredite vergibt und in Anlehnung an die Grameen Bank von Muhammad Yunus arbeitet. „Geschenke lähmen die Eigenständigkeit“, erklärte Thies. Auch bei der PR für die Projekte werden die Beniner mit einbezogen. Besonders die gefilmten Zeugenaussagen der Frauen sind sehr wirkungsvoll und authentisch. Insgesamt benötigt Thies 70.000 Euro für einen Zeitraum von zwei Jahren, um diese gesamte Arbeit fortsetzen zu können.
Der Prinz von Abomey/Benin, Claude Kalume Wa Mudaki Dah Vignon, bedankte sich für die Einladung. Es sei nicht selbstverständlich, dass er als Beniner selbst zu Wort kommen dürfe. Er hat als junger Mann in München studiert und ist dankbar, dass er hier in Deutschland aufgenommen wurde. Er ging noch mal auf die gescheiterte Entwicklungshilfe ein und bedauerte, dass so viele Afrikaner*innen keine Perspektive mehr sähen und sich auf die lebensgefährliche Flucht begäben. Er sprach abschließend von der friedensstiftenden Wirkung des Projekts: „Wenn ich zufrieden bin, bin ich in Frieden mit mir. Und Frieden bedeutet Leben“.
Text: Helga Fitzner