Hans Mörtter
Andererseits, wenn in Palästina „normale“ Verhältnisse bestehen würden, könnten - das ist meine persönliche Meinung - Ministerpräsident Netanjahu und einige seiner Mitstreiter wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gestellt werden.
Abdallah Frangi
Die Friedensbemühungen haben allgemein nicht viel Rückhalt. Als Rabin soweit war, den Frieden zwischen unseren Völkern zu akzeptieren, wurden die Gegendemonstrationen so massiv, dass sein Haus belagert wurde. Das geschah mit Unterstützung von Sharon, Netanjahu und der Likud-Partei. Es bestehen durchaus Zweifel daran, dass Rabin „nur“ von einem verrückten Juden aus dem Jemen ermordet wurde. Vermutlich stand eine organisierte Gruppe hinter ihm, die auch im Staat Israel Einfluss hat. Leider haben diejenigen, die heute Israel regieren, die Friedenspolitik Rabins abgeschafft.
Hans Mörtter
Ihr Mentor, der PLO-Chef Jassir Arafat, soll über den Tod Rabins damals sehr bestürzt gewesen sein.
Abdallah Frangi
Ich saß damals mit Arafat und ungefähr 35 Leuten der PLO-Führung zusammen, als die Nachricht eintraf, dass Rabin ermordet worden war. Arafat hat vor allen Leuten geweint wie ein Kind. Ein Palästinenser hat sich aufgeregt: „Warum weinst du um Rabin?“ Arafat antwortete: „Du verstehst nicht. Wir haben unseren Partner für den Frieden verloren, und die Zeit wird zeigen, dass wir keinen Partner in Israel haben werden, der seine Rolle weiterhin spielen kann.“ Der Tod von Rabin war leider ein dramatischer Wendepunkt. Unsere Hoffnung ist jetzt, die Unterstützung der Europäer zu bekommen, damit wir noch eine Chance für den Frieden haben. Im Jahr 2009 hatten wir schon einmal große Hoffnung. Da hat der amerikanische Präsident Obama zwei wichtige politische Aussagen gemacht, die ich nie vergesse: „Die Siedlungspolitik gefährdet den Frieden in dieser Region und muss gestoppt werden, und die Palästinenser müssen einen Palästinenserstaat haben.“ Das hat er in der Universität in Kairo und vor der UNO gesagt. Nun muss er auch zeigen, dass er zu seinem Wort steht, dann bekommt er Respekt und hat seinen Friedensnobelpreis zu Recht bekommen.
Hans Mörtter
Sie waren eng befreundet mit dem von mir sehr verehrten jüdischen Dichter Erich Fried, dessen Schriften mich in meiner rebellischen und erotischen Jugendzeit begleitet haben. Der hat in einem Gedicht geschrieben: „Höre Israel, als wir verfolgt wurden, war ich einer von euch. Wie kann ich das bleiben, wenn ihr Verfolger werdet?“ - Durch Ihr ganzes Leben hindurch zieht sich Mord und Gewalt. Sie selber standen auf der Todesliste von Abu Nidal und haben Glück gehabt, Ihre Freunde alle nicht. Abu Dschihad wurde in Tunis feige mit 70 Schüssen ermordet. Sie sagen selber, was für ein Hass dahinterstehen muss, einen Menschen mit 70 Schüssen zu zerfetzen. Sie haben auch immer wieder die Massaker in Flüchtlingslagern, die Angriffe, die Unverhältnismäßigkeit der militärischen Gewalt gegen ihr Volk erlebt. In Ihrem Buch schreiben Sie: „Die Geschichte dieses Konflikts ist durchsetzt von Augenblicken der Hoffnung, in denen wir uns vor Freude kaum fassen konnten. Und von Phasen nackten Entsetzens, die alle seelischen Kräfte aufzuzehren drohten. Wer da nicht kapituliert, muss mit einem schier unmenschlichen Durchhaltevermögen gesegnet sein.“ Hatten Sie das? Woher nahmen und nehmen Sie die Kraft, nicht zu verzweifeln?
Abdallah Frangi
Natürlich heute, wenn man die Entwicklung in Israel sieht, hat man keine Hoffnung. Aber die Hoffnung darf man nicht verlieren, sie muss weiter in den Herzen und Köpfen der Menschen existieren, damit wir einfach die Fähigkeit besitzen, die Zukunft zugunsten des Friedens zu ändern. Wenn wir darauf beharren, dann werden wir es schaffen und Leute motivieren, in Israel das Gleiche zu tun – auch wenn das heute nicht so aussieht, wie ich es hoffe und mir erwünsche. Aber es gibt viele Juden, die uns unterstützen. Ungefähr 20 Prozent der Mitglieder in den Menschenrechtsorganisationen in Palästina sind Juden. Sie lehnen es ab, dass die Palästinenser weiterhin besetzt und verfolgt werden und setzen sich für die palästinensischen Gefangenen ein. Wir haben heute 5.000 Menschen in den israelischen Gefängnissen, die zum Teil seit 30 bis 40 Jahre im Gefängnis sitzen. Aber auch wir Palästinenser sind verpflichtet, den Versöhnungsprozess zwischen der Hamas und Fatah voranzubringen.
Hans Mörtter
Die Weltgemeinschaft ist aber auch gefordert.
Abdallah Frangi
Ja, es ist sehr wichtig, dass zum Beispiel die Europäische Union sich an ihre eigene Charta hält, die sie im Jahr 2010 geschrieben hat. Darin ist von Menschenrechten, von Menschenwürde, von Freiheit und von Gerechtigkeit die Rede. Diese Charta sollte auch für die palästinensischen Gebiete gelten. Die Europäer sind aufgefordert, keine Waffen in diese Region zu exportieren. Denn man kann nicht friedliche Lösungen verlangen und gleichzeitig Waffen liefern, egal ob das jetzt U-Boote, Raketen oder Flugzeuge sind. Nein. Die Geschichte des Ersten und Zweiten Weltkrieges hat uns doch gelehrt, dass man mit Waffen keine Gerechtigkeit und keinen Frieden schaffen kann.
Ich möchte aber noch zwei andere Punkte erwähnen, um die Hoffnung auf Frieden zu stärken: Als 1982 Sharon den Libanon überfallen hatte, um die PLO zu vertreiben, da waren 400.000 Israelis auf der Straße - gegen Sharon. Das ist ein gutes Zeichen und zeigt, dass es Menschen gibt, die diese Politik des Krieges nicht haben wollen. Auch noch nach diesem Krieg im Libanon haben die Falangisten mit Unterstützung der israelischen Armee die Massaker in Sabra und Schatila begangen. Das waren grauenhafte Bilder. Bemerkenswert hierbei ist, dass der Erste, der darüber geschrieben hat, ein israelischer Journalist, nämlich Amnon Kapeliouk, war.
Wir halten hier gerade einen Gottesdienst ab. Ich glaube nicht, dass Gott nur eine Sprache spricht oder nur eine Gruppe geschaffen hat, in deren Auftrag er arbeitet. Ich glaube aber, dass die meisten Zionisten, die behaupten, dass Gott ihnen das Land gegeben hat, gar nicht an Gott glauben. Aber sie glauben fest daran, dass Gott ihnen das Land geschenkt hat. Das ist paradox und das kann deshalb nicht lange andauern. Ich werde weiterhin aktiv für die Einheit der Palästinenser arbeiten. Ich will zeigen, dass wir ein fleißiges und ein friedliches Volk sind und dass wir einen Staat Palästina neben dem Staat Israel gründen möchten. Dafür wollen wir hart arbeiten. Ich bin überzeugt, dass wir zum Schluss von vielen Menschen überall in der Welt unterstützt werden. Dann wird der Tag kommen, an dem viele Israelis einsehen, dass die jetzige Politik der israelischen Regierung keine Zukunft hat und die Sicherheit Israels nicht garantiert.
Hans Mörtter
Wir müssten gegenüber der Militär- und Siedlungspolitik der Regierung Netanjahu viel deutlicher Position für die Palästinenser beziehen, weil diese Politik den Wahnsinn und den Terror nur forciert. Wir müssten auch über die Verhängung von Sanktionen gegenüber der israelischen Regierung von europäischer Seite aus nachdenken. Das wäre aber ein schwerer Tabubruch und man würde direkt wieder als Israel-feindlich gelten. Ich denke, dass es an der Zeit ist, dass wir Deutsche da viel konsequenter an die Politik in den 80er-Jahren von Hans-Jürgen Wischnewski anknüpfen. Es sollte unsere Sache sein, mutig nach dem Frieden zu greifen, auch wenn das einen gewaltigen Konflikt mit der israelischen Regierung bedeutet, auch wenn wir in ein schiefes Licht geraten würden.
Abdallah Frangi
Ich hoffe erst einmal, dass man in Deutschland in der Lage sein wird, die israelische Politik zu kritisieren, ohne als Antisemit beschimpft zu werden. Wenn man die Menschenrechtsverletzungen der Israelis kritisiert, dann hat man als Deutscher, der von seiner Geschichte gelernt hat, auch das Recht, für die Menschenrechte einzustehen, egal von wem sie missbraucht werden. Ich glaube auch, dass die bisherige Politik der Palästinenser, die von Jassir Arafat und auch die von Mahmud Abbas, dazu beigetragen hat, dass radikale Gruppen wie Al Qaida in vielen islamischen Ländern keine große Zustimmung haben. Wenn wir es schaffen, einen unabhängigen Palästinenserstaat zu schaffen, dann könnte der Einfluss auf die gesamte Umgebung in Syrien, im Libanon, im Irak, und ich wage sogar zu sagen, in Afghanistan, ein stabilisierender sein.
Es gibt viele Menschen, die sich mit Palästina verbunden fühlen, nicht nur weil sie sich für die Freiheit der Palästinenser einsetzen, sondern weil Palästina ein Symbol des Christentums, des Islams und des Judentums ist. Das ist die Geschichte von allen drei Religionen, und wenn wir für einen Frieden zwischen Israel und Palästina sorgen und diese zwei Staaten miteinander die Zukunft gestalten, dann können wir miteinander reden und auch wirtschaftlich zusammenarbeiten. Denn beide Völker sind so miteinander verflochten, dass es sehr schwer ist, sie zu trennen. Wenn wir Palästinenser die Chance zu unserer Eigenständigkeit, unserer Freiheit und unseren Entscheidungen bekommen, dann wird auch Israel davon profitieren und dann wird auch die radikale Politik Israels in dieser Region nicht mehr Fuß fassen können.
Hans Mörtter
Die Zukunft unserer Erde, unser aller Zukunft entscheidet sich, glaube ich, im Nahen Osten. Als Schlusssatz möchte ich einfach nur sagen: Herr Frangi und Frau Frangi, dass es Sie beide gibt, das ist ein großes Geschenk an uns Menschen, weil sie beide eng verschworen nie aufhören, den Frieden und die Begegnung zu suchen. Also ich ziehe einfach meinen Hut und verneige mich von Herzen vor Ihnen. Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Frangi.
Redigiert von Helga Fitzner