Abendmahl à la Hans Mörtter

Einladung zur Teilhabe am Leben

Hans Mörtters Gestaltung des Abendmahls, Foto: Helga Fitzner
Das Stehen in der Runde entfaltet seine ganz eigene Wirkung

„Ich erinnere mich noch, wie ich als Kind das Abendmahl empfunden habe. Da kam immer so eine Totengräberstimmung auf. Die Leute gingen in Reih’ und Glied zum Altar, ganz militärisch, und der Pfarrer hat die dann bedient: Mit Hostie, die am Gaumen klebte und einem billigen Wein hinterher. Gebeugte Rücken und gebeugte Köpfe. Die Atmosphäre hatte etwas sehr Depressives. Auch heute besteht manchmal noch ein altes Denken, dass das Abendmahl mit Buße und Sündenvergebung zu tun hat. Ein solches Element schwingt da zwar mit, aber das ist nichts Niederschmetterndes: Es geht um Freigebung!

Heute als Pfarrer mache ich das anders. Bei uns ist das eine Einladung zum Leben, zur Teilhabe am Leben, die Einladung in eine Kraft, in eine Lebenskraft, die mich trägt, die mich stärkt, die mich aussendet, die mich verbündet, mich vereint, und gleichzeitig auch Teil eines großen Ganzen sein lässt, das ich mit meinen Gedanken und mit meinem Verstand gar nicht fassen kann. Also etwas Göttliches. Ich bin Teil eines Universums, aber da ist noch jemand, der für mich ist. Ich bin da, gleichzeitig einzeln mit all meinen Geschichten, aber auch verbunden mit all denen, die auch mit ihren Geschichten da sind. Wir können erleben, dass wir alle zusammen gehören in unserer völligen Unterschiedlichkeit. Alle gehören dazu, jede Generation, auch Kinder jeden Alters. Herr S. gehört dazu, ein Wohnungsloser mit vier, fünf Lagen Anzügen, die er übereinander trägt – seiner Kleiderkammer am Körper. Und niemand wundert sich, dass der mitten unter uns steht. Wir bilden einen Riesenkreis um den Altar und Kirchraum. Brot und Wein machen die Runde. Einer reicht dem anderen den Korb und den Kelch. Ich als Pfarrer diene nur, indem ich ab und zu den Kelch sauber mache und Wein nachfülle. Ansonsten habe ich keine Funktion an der Stelle. So entsteht ein großes Wir. Ganz viele Ichs, die einander zum Du werden und dann zum Wir verschmelzen.

Unser Kantor Thomas Frerichs macht dazu immer genau die richtige Musik. Je nach Situation und Thema des Gottesdienstes. Seine Musik ist immer schön: Mal feierlich oder bedächtig, oft swingen wir aber herum und können gar nicht still halten, weil sein Klavierspiel so beschwingt ist. Es ist lösend, so zusammen da zu stehen. Da können wir das Gefühl freisetzen, erlöst zu sein. Zum Schluss halten wir die Hände; das ist in dem großen Kreis sehr intensiv. – Da ist kein Anklang mehr an die depressive Betroffenheit beim Abendmahl meiner Kindertage.“
Text: Hans Mörtter
Foto: Helga Fitzner

Hans Mörtters Gestaltung des Abendmahls, Foto: Helga Fitzner