Klavier oder Orgel

ein für und wider – Über neue geistliche Musik im Gottesdienst

Herr Frerichs, in der Lutherkirche wird die Orgel nur selten benutzt, da meistens das Klavier zum Einsatz kommt. Welchen Grund hat das?

An der Lutherkirche werden viele moderne und neue geistliche Lieder gesungen und das Klavier ist auf jeden Fall schöner und dichter für jede Art von Popmusik. Der Vorteil vom Klavier ist der, dass man unmittelbaren Kontakt mit der Gemeinde hat, beim Kanon-Singen oder bei Auftritten mit den Chören. Deshalb spiele ich an der Lutherkirche nur gelegentlich Orgel. An der Kartause wird regelmäßig beides, Klavier und Orgel, gespielt.

Was ist an der neuen geistlichen Musik so anders und so faszinierend?

Der Trend mit der neuen geistlichen Musik fing mit „Danke für diesen schönen Morgen“ an, das in den 60-er Jahren populär wurde. Das hatte so einen gewissen Protestsong-Charakter, was man auch am Stil erkennen kann. Es ist seitdem auch nichts Neues nachgekommen, was als Bewegung von solcher Bedeutung gewesen wäre. Damals hat Bob Dylan in der Musikgeschichte neue Maßstäbe gesetzt. Das wirkte sich auf die geistliche Musik so aus, dass man begann, sich in den Gottesdiensten mit neuen Texten und neuer Musik auszudrücken. In meiner Ausbildung war es noch so, dass Pop-Musik etwas verpönt war. Das hat sich seit Mitte der 1990-er Jahre geändert. Jetzt ist sie fast überall Pflicht. – Ich habe ein Seminar mit Martin Gotthard Schneider erlebt, dem Komponisten von „Danke“. Und der zeigte uns die damalige Bild-Schlagzeile von Seite 1: „Danke für dieses Danke“. Endlich tut jemand mal was fürs Volk, hieß es da. Das war die positive Auslegung. In anderen Zeitschriften, kirchlichen zum Beispiel, wurde es verrissen. Hier an der Lutherkirche wollen wir die Menschen erreichen, und das tun wir mit Musik, die unserem heutigen Lebensgefühl recht nah ist.

Wie stehen Sie persönlich dazu, dass das Hauptaugenmerk an der Lutherkirche bei moderner Musik liegt bis hin zu kölschem Liedgut?

Das wusste ich schon 1999, als das noch eine nebenamtliche Stelle war, dass hier auch Pop oder zum Karneval was Kölsches gespielt wird. Die Lutherkirche hat ganz bewusst einen Kantor gewählt, der sich auf diese verschiedenen und neuen Formen der Gottesdienste einlassen kann. Deswegen klappt die „Verzahnung“ zwischen Pfarrer Hans Mörtter und mir auch ganz gut.

Das Schöne ist doch gerade die Vielfalt von Musik. Hier spielen auch Leute, die mit Kirche gar nichts zu tun haben. Dann haben wir besondere Gottesdienste, wie den Salbungsgottesdienst, der wiederum eine ganz andere Erfahrung ist. Aber auch Tango und Karneval haben hier ihren Platz. Das ist jetzt nicht als Musikabgrenzung gemeint, sondern was machen wir hier wie? Deshalb spiele ich auch gern kölsche Lieder oder plattdeutsches Liedgut. So lange ich als Friese die kölschen Lieder nicht vorsingen muss, ist das in Ordnung für mich. Für mich ist das auch Pop-Musik.

Wenn das „Danke“-Lied aus den 60-er Jahren stammt, dann ist die neue geistliche Musik ja gar nicht mehr so „neu“, wie sie dem Namen nach klingt.

Es gibt mittlerweile Untersuchungen zum neuen geistlichen Lied, worin es heißt, dass die neuen geistlichen Lieder aus den 70-er, 80-er Jahren für die heutige Jugend genau so tot seien, wie für uns damals so ein alter Choral. Das glaube ich sofort.
Für 40- bis 50-Jährige ist das anders. Neue geistliche Musik war etwas total Neues, etwas Sensationelles, was noch nie da gewesen war. Da ging es damals auch darum, ein Zeichen zu setzen, um verkrustete Strukturen zu überwinden. Diese „Zeitzeugen“ lehnen die alte Musik oft weiterhin ab.
Die Jugend ist da unvoreingenommen. Unsere Jugendlichen an der Lutherkirche, die so um die 17 Jahre alt sind, die bekommen seit Jahren diese Gottesdienstform mit. Die empfinden alles andere, was womöglich viel konservativer ist, schon wieder fast als neu. Was man nicht kennt, ist erst einmal neu.

Das ist jetzt aber schon verblüffend, dass man mit Chorälen die Jugend überraschen kann?

Während des Kirchentages haben mich zwei Jugendliche in der Kartause angesprochen, weil sie enttäuscht waren, dass an dem Tag nicht Orgel gespielt wurde. Das zeigt mir, dass wir – für die Kartäuserkirche – in dieser Hinsicht auf dem richtigen Weg sind, weil dort beide Instrumente zum Einsatz kommen.

Dann ist es scheinbar eine ewig offene Frage, welche Musikrichtung im Gottesdienst gespielt werden soll?

Darüber kann man stundenlang diskutieren. (Das gilt auch für Gottesdienstabläufe.) Vor allem erhebt sich die Frage, ob man dem Zeitgeist zwanghaft hinterher rennt. Luther hat dem Zeitgeist absichtlich Rechnung getragen, um die Gemeinde aktiv zu beteiligen. Für uns gilt es, die Balance zu halten, zwischen ehrlichen Bedürfnissen der Gemeinde oder ständig „einen drauf setzen“ zu müssen.

Es gibt also keine allgemeingültige Formel für die Balance zwischen musikalischer Tradition und Moderne?

Das Konzept muss stimmen. Man muss nicht auf Teufel komm heraus Techno in die Kirche bringen. Ich würde den Druck eher herausnehmen. Man kann auch mal etwas Außergewöhnliches machen und schauen, was passiert.

Das Interview führte Helga Fitzner im Sommer 2007
Fotos: Helga Fitzner