Hans Mörtter und Franz Meurer erhalten den Georg-Leber-Preis für Zivilcourage

Verliehen am 9. Oktober 2017 in Berlin

Einladungstext der IG Bau

Gerechtigkeit ist ein bestimmendes Thema in Deutschland geworden. Viele haben Abstiegsängste. Die erlebte Zurücksetzung macht unsere Gesellschaft anfällig für Rechtspopulismus. Der ehemalige Vorsitzende unserer Gewerkschaft, Georg Leber, warb zur Sicherung der Demokratie für den sozialen Ausbau des Staates. Er forderte dazu auf, wachsam gegenüber denen zu sein, die aus wirtschaftlichem Interesse bereit sind, den demokratischen Staat zu schwächen. Für den vorbildlichen Einsatz für soziale und demokratische Werte verleiht die IG BAU den Georg Leber-Preis für Zivilcourage.

Preisträger 2017: Pfarrer Franz Meurer und Pfarrer Hans Mörtter, weit über ihre Gemeinden hinaus hörbare Streiter gegen soziale Verwerfungen und für mehr Mitmenschlichkeit.

Laudatio für Pfarrer Franz Meurer und Pfarrer Hans Mörtter von Gregor Gysi

„Ich habe heute die Ehre und das Vergnügen, eine Lobrede auf zwei Pfarrer zu halten, die nahbar sind und Nächstenliebe nicht nur selbst leben, sondern die Menschen in ihrem Umfeld so aktivieren, dass Gemeinsamkeit, Gemeinschaft entsteht. Hans Mörtter, ein evangelischer Pfarrer, und Franz Meurer, ein katholischer Pfarrer haben den Georg-Leber-Preis, der ihnen heute verliehen wird, in jeder Hinsicht verdient. Vermutlich ist es Ihnen Beiden schon des Guten zuviel, dass Sie als das soziale Gewissen Kölns bezeichnet werden. Und Sie werden sagen, dass es keinen solchen Preis braucht für Sie, weil Ihre Arbeit doch selbstverständlich sei, allzumal für aufrechte Christen.

Aber es braucht eben immer Menschen wie Sie, die nicht nur ihre Stimme erheben, sondern auch konkret etwas für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft tun, um uns Politikern immer wieder den Spiegel vorzuhalten, dass es in unserer Gesellschaft, in der viele immer hastiger werden, immer entgrenzter, immer mehr auf Geld aus sind oder sein müssen, anderer Werte, es auch eines anderen Umgangs miteinander bedarf und letztlich auch einer anderen Politik.
Ich könnte Ihnen vieles erzählen, was die Preisträger tun, das nun durch den Preis gewürdigt werden soll. Aber das wissen Sie ja schon; und die, die es zufälligerweise noch nicht wussten, haben durch den Film, den wir gerade sehen konnten, zumindest einen ersten Eindruck gewinnen können.

Deshalb will ich meine Laudatio nutzen, um auch über das Land zu sprechen, in dem Pfarrer Mörtter und Pfarrer Meurer ihre gute Arbeit leisten. Wir leben in einem ungerechten Land. Das zeigt sich an vielen Dingen. Reiche werden reicher, Arme ärmer. Auch ist die Zahl derer, die akut von Armut bedroht sind, seit Jahren im Wachsen. Aber auch die Zahl derer, die trotz Arbeit arm sind, wächst. Das trifft auch auf Vollzeitbeschäftigte zu. 2017 sind die Reallöhne wieder gesunken. Aber auch die Mittelschicht, einst stolzes Rückgrat der deutschen Wohlstandsgesellschaft, wird kleiner. Die Erbschaftssteuer, die im Sinne sozialer Gerechtigkeit hätte reformiert werden können, hat gerade nur ein „Reförmchen“ erfahren. Wo bleiben die Gewinne, die eine reiche Gesellschaft reicher machen? Sie verbleiben im oberen Drittel der Gesellschaft.

Dass sich die herrschende Politik leider allzu oft darauf verlässt, dass Menschen wie Sie die großen Lücken füllen, die diese Politik selbst in unser soziales Netz reißt – wie man es gerade in der Flüchtlingsfrage seit zwei Jahren beobachten muss – macht Ihr Engagement noch wichtiger und ist zugleich Auftrag an uns alle, dafür zu sorgen, dass sich diese Politik verändert.

Das gilt auch für einen anderen Aspekt der Ungerechtigkeit. Unsere Städte werden für viele Menschen zu teuer. Die finanzkapitalistisch getriebene Form der Stadtentwicklung bringt „gentrifizierte“ Stadtteile hervor, aus denen ärmere oder auch normalverdienende Menschen verdrängt werden. Das Resultat sind Stadtteile der Reichen und Stadtteile der Armen. Auch in den Schulen und den damit gegebenen Bildungsmöglichkeiten spiegeln sich die negativen Wirkungen dieser sozialen „Entmischung“.

Ich gebe zu, dass mich das Bundestagswahlergebnis in dieser Hinsicht nicht optimistisch stimmt, dass es beim Thema bezahlbares Wohnen, das Sie, Herr Pfarrer Mörtter, besonders umtreibt, Veränderungen in die richtige Richtung geben wird. Da sehe ich weder bei den Parteien, die sich nun möglicherweise zu einer Koalition zusammenraufen werden, noch bei jener Partei, die nicht wenige gewählt haben, weil sie hoffen, dadurch in ihrer Not wieder Gehör zu finden, ein besonderes Engagement. Von einem „Sieben-Sterne-Hotel“ für Obdachlose mitten in der Stadt ganz zu schweigen.

Schließlich verweigert eine auf die Schuldenbremse fixierte Haushaltspolitik dringend benötigte öffentliche Investitionen in Schulen, Straßen und andere Infrastrukturen. Auch hier haben wir es mit Ungerechtigkeit zu tun. Denn je wohlhabender ein Mensch ist, desto leichter fällt es ihm, die Defizite der Öffentlichen Daseinsvorsorge zu kompensieren.

Mit all dem ist eine enorme Hartherzigkeit verbunden. „Es ist kein Geld da!“ Ist das Ausrede oder Wertung im Sinne von: „Dafür ist kein Geld da“? Ich kann mich jedenfalls noch gut daran erinnern, wie die Gegner der Hartz-Gesetze abfällig als „Sozialromantiker“ bezeichnet wurden. Das war vor allem Verachtung gegenüber jenen, die auf einen funktionierenden Sozialstaat angewiesen waren und sind. Wie die Ankunft der Geflüchteten 2015 zeigte, herrschte eine regierungsseitige Unfähigkeit vor, die auftretenden Probleme zu bewältigen. Die Bundesregierung schob alles auf Länder und Kommunen ab und beutete so auch die Hilfsbereitschaft vieler ehrenamtlicher Helfer aus. Auf der anderen Seite, als Gegenpol zu den solidarischen, hilfsbereiten Menschen, formierte sich ein ausgrenzender, rechter Block aus Pegida und Ablegern sowie der AfD. Doch wenn die rechtsextremistische „Pro NRW“-Partei Franz Meurer als „gutmenschlichen Pfarrer“ beschimpft, dann kann ich nur sagen, unser Land bräuchte mehr, viel mehr von solch guten Menschen, die sich für ihre Mitmenschen einsetzen.

Wenn man irgendetwas daran ändern will, wenn man ein gerechteres Land will, das einen humaneren Umgang mit allen pflegt, die hier auch leben, dann muss man den Willen, die Kraft und auch den Mut haben, sich mit den Mächtigen anzulegen. Denn in der Regel haben sie den Mainstream auf ihrer Seite. Manchmal, wenn man etwas für wirklich richtig hält, kann man auch mit den Organisationen und Einrichtungen, denen man angehört, in Konflikt geraten. Ich weiß, wovon ich spreche.
Ich weiß nicht, wo sich Hans Mörtter und Franz Meurer politisch positionieren würden: Ob sie eher links, eher „mittig“ oder eher konservativ sind. Das ist aber auch zweitrangig. Was sie auszeichnet, ist Geradlinigkeit, mit der Sie sich mit den Mächtigen anlegen, mitunter auch mit denen im eigenen Haus. – Ich habe ja bei verschiedenen Anlässen schon betont, dass ich, obwohl ich selbst nicht gläubig bin, eine gottlose Gesellschaft fürchte, weil zur Zeit nur die Kirchen wirklich grundlegende Moral- und Wertvorstellungen allgemeinverbindlich in der Gesellschaft prägen können.

Mir wurde oft entgegen gehalten – gerade auch aus meinen Reihen – dass doch bei den Kirchen nun auch nicht alles im Lot sei und milliardenschwere Bistümer nicht unbedingt ein Hort sozialer Gerechtigkeit seien. Mag sein, aber es ist mir eine Freude, dass ich diesen Kritikern nun immer Ihre Namen und Ihr Beispiel entgegen halten kann, Herr Pfarrer Meurer und Herr Pfarrer Mörtter, die Sie Moral- und Wertvorstellungen wie die Achtung der Menschenwürde durch ihr tägliches Tun leben und vermitteln und im besten Sinne zum Gemeingut machen.

Seit die Polarisierung in Deutschland entlang der Migrationsfragen entbrannt ist, brutalisiert sich das Klima, sowohl verbal als auch nonverbal. Sicher, auch früher brannten Flüchtlingsunterkünfte. Aber die Häufigkeit rassistisch motivierter Straftaten ist sprunghaft gestiegen. Gewalt gehört inzwischen mit zur politischen Auseinandersetzung. Damit gehen Menschen, die für Solidarität einstehen, auch ein erhöhtes Risiko ein. Dafür und für ihre Haltung verdienen sie unsere Wertschätzung.

Und es wird nicht leichter. Wir haben eine Weltwirtschaft, aber keine Weltpolitik, die das Primat der Politik gegenüber der global agierenden Wirtschaft durchsetzen könnte. Wir haben weltumspannende Kommunikationsmöglichkeiten, die es in nahezu jedem Winkel der Erde möglich machen, dass die Menschen erfahren wie andere Menschen auf anderen Kontinenten leben. Die soziale Frage ist längst zu einer sozialen Frage der Menschheit geworden.

Ich glaube, dass die Entscheidung, Hans Mörtter und Franz Meurer mit diesem Preis zu ehren, richtig ist. Wir brauchen unzählige Menschen wie Sie. Für die beiden Preisträger, da bin ich mir sicher, wird der Preis eine Ermutigung sein, weiter zu helfen.“

Abschrift mit freundlicher Genehmigung von Gregor Gysi

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